0449 - Der Tod im Mädchen-Pensionat
und war für ein paar Sekunden nicht bei der Sache.
»… hören mir wohl gar nicht zu?« drang plötzlich in mein Bewußtsein. Die alte Dame sah mich fragend an.
»Entschuldigen Sie«, bat ich. »Es war ein Lancia, nicht wahr?«
Sie lächelte verlegen.
»Wohl möglich. Ich verstehe nicht viel von Autos. In meinem Alter fällt es schwer, mit der rasenden Entwicklung der Technik noch Schritt zu halten. Mein Sohn hat den Wagen damals gekauft.«
Durch meinen Kopf gingen immer wieder dieselben Gedanken: Ich war überzeugt, Bill Mockton gestern abend hier auf dem Gelände des College gesehen zu haben. Mockton stritt es ab und berief sich auf einen Pokerabend mit Nicky Roller. Der aber stahl — oder versuchte es wenigstens — weit entfernt vom College einen italienischen Sportwagen, erschoß dabei einen Polizisten und wurde verhaftet. Und Roller wieder glaubt, daß Mockton ihm helfen müßte. Womit man wieder bei Mockton angekommen war. Irgendwas an der Geschichte gefiel mir nicht.
»Wie lange werden Sie noch hier bleiben?« fragte ich.
»Bis Mittag etwa. Die Polizei hat uns zugesichert, daß wir heute den Wagen zurückbekämen, wahrscheinlich in den Mittagsstunden. Mrs. Hunter war so liebenswürdig, meinem Sohn und mir ein Gästezimmer zur Verfügung zu stellen.«
»Ah, ja«, murmelte ich, in Gedanken versunken. »Verzeihen Sie, wie war doch gleich Ihr Name?«
»Ich bin Mrs. Weatherton.«
»Ich fürchte, ich werde Sie im Laufe des Vormittags noch einmal belästigen müssen, Madam.«
»Ja?« Ihr Gesicht drückte naive Verwunderung aus. »Was könnte ich denn wohl für Sie tun? Wir haben uns doch gestern abend kennengelernt, nicht wahr?«
»Ja. Ich bin Jerry Cotton. Ich arbeite für die Bundespolizei.«
»Ach ja, richtig! Wie interessant! Selbstverständlich stehe ich Ihnen jederzeit zur Verfügung, Mr. Cotton. Das versteht sich. Ich fürchte nur, daß ich Ihnen kaum nützlich sein kann. Ich habe nichts beobachtet, was in irgendeinem Zusammenhang mit diesen furchtbaren Morden stehen könnte.«
»Glauben Sie mir, für uns sind Kleinigkeiten von größter Bedeutung. Madam. Vielen Dank für Ihre Hilfsbereitschaft.«
Sie nickte bedächtig und schlug einen Weg ein, der von dichten Hecken gesäumt war. Ich schaute ihr lange nach. Und immer wieder dachte ich an den Lancia, an Nicky Roller und an Bill Mockton, Sobald Ambers hier eintraf, mußte ich ihm die Geschichte erzählen. So viele Zusammenhänge konnten nicht mehr auf Zufall beruhen. Da mußte etwas dahinterstecken.
Von der Turnhalle her klapperten schnelle Schritte heran. Heftig atmend tauchte Sue Barrington zwischen den Sträuchern auf. Sie fegte heran wie ein Wirbelwind.
Jetzt trug sie ein duftiges Sommerkleid, geblümt und so gearbeitet, daß man nipht wußte, was man mehr bewundern sollte, das Kleid oder das Mädchen, das es trug.
»Hallo!« rief sie atemlos. »Ich habe von meinem Fenster aus Ihren Wagen gesehen. Sie sind aber früh aufgestanden!«
»Ich war überhaupt nicht im Bett. Sie auch nicht?«
Sie blies eine vorwitzige Haarsträhne aus der Stirn.
»Glauben Sie, wir hätten schlafen können?«
»Nein«, gab ich zu, »das habe ich nicht geglaubt. Aber Sie sehen so frisch aus, als hätten Sie zwölf Stunden tief und fest geschlafen.«
»Danke«, sagte sie, zufrieden lächelnd, »das ist nett. Was tun wir jetzt?«
»Wir?« dehnte ich.
»Ja! Ich helfe Ihnen. Ich habe mich entschlossen, Ihnen zu assistieren.«
»Wie großmütig!«
»Spotten Sie nicht. Außerdem ist es kein Großmut sondern Neugierde. Ich möchte mal sehen, wie ihr es macht, wenn ihr einen richtigen Mörder fangt. Und ich wollte schon immer mal etwas Aufregendes erleben. Glauben Sie, hier gäbe es etwas Aufregendes in dieser Musterschule? Nicht die Bohne!« Sie rümpfte verächtlich das Stupsnäschen. »Die einzige Aufregung, die ich im letzten Jahr hatte, war, als jemand meinen Porsche stibitzte. Aber so aufregend war das nun auch wieder nicht. Der Wagen war schon zwei Jahre alt und gegen Diebstahl versichert. Ich bekam einen neuen — und wo blieb die Aufregung?«
»Ja«, wiederholte ich, »wo bleibt die schönste Aufregung, wenn man einfach einen neuen Wagen kriegt, sobald der alte mal gestohlen wird? Man müßte schon ein hart schuftender Familienvater sein, der drei Jahre lang fürs Auto sparen mußte und sich dann die Diebstahlversicherung nicht erlauben kann. Dann’erst hat man eine schöne Aufregung, wenn einem der Wagen gestohlen wird.«
Sie sah mich groß an.
Weitere Kostenlose Bücher