045 - Das Kind des mordenden Götzen

»Aber der Pfeil zeigt nach unten, und der Gang führt nach oben. Um Rätsel zu lösen, habe ich heute nicht mehr den Nerv.«
    »Vielleicht ist das nur ein normales Hinweiszeichen, das im jeweils richtigen Gang eingeritzt wurde.«
    »Du bist ganz schön gutgläubig. Aber dein Wort in Barrys Ohr. Ich will dir mal glauben. Gehen wir eben nach oben.«
    Die Nordamerikaner folgten dem Gang, in dem das Zeichen angebracht war. Auch weiter vorn, nach den beiden Abzweigungen, fanden sie den Pfeil wieder.
    »Funktioniert doch prächtig«, meinte Patrick Morgan. »Wanderpfade sind auch nicht besser beschildert.«
    »Wart’s mal ab«, blieb Queens skeptisch, und er sollte recht behalten.
    Nach fünf Minuten war ihr Gang plötzlich zu Ende. Sie standen vor einer undurchdringlichen Felsmauer. Zu allem Überfluß brannte auch die Flamme des Feuerzeugs immer mehr herunter, obwohl das Regulierrad schon auf der größten Einstellung stand.
    »Das nächstemal nehme ich eine Taschenlampe mit«, meinte Queens trocken, doch auch er konnte nur hoffen, daß es ein nächstes Mal geben würde. »Deine Pfeilritzer haben uns ganz schön an der Nase herumgeführt. Hier geht es nicht mehr weiter.«
    »Bist eine Intelligenzbestie, Barry. Das sehe ich selbst. Und dein Feuerzeug macht’s auch nicht mehr lange.«
    Als hätte das Feuerzeug nur auf dieses Stichwort gewartet, flackerte das kärgliche Flämmchen noch einmal blau auf und Verlosch. Barry Queens brachte den Feuerstein vergeblich zum Blitzen, das Gas entzündete sich nicht wieder. Nur die Funken sprühten nutzlos in die Dunkelheit.
    »Damit sitzen wir ganz gewaltig in der Patsche«, erkannte Patrick Morgan die Lage. »Hast du dir den Weg gemerkt?«
    »Wenn du meinst, ob ich wie weiland Hänsel und Gretel Brotkrumen gestreut habe, dann muß ich dich und midi enttäuschen. Nichts dergleichen. Ich werde mich auf deinen Orientierungssinn verlassen.«
    »Dann bist du verlassen«, kommentierte Morgan. »Ich habe nicht die geringste Ahnung, in welcher Ecke des Berges wir stecken.«
    In diesem Augenblick kicherte ein schauerliches Gelächter kreischend und fern durch die dunklen Gewölbe, Es klang, als würde jemand mit den Fingernägeln rhythmisch an einer Blechplatte kratzen und den entstehenden Ton tausendfach verstärken.
    »Wenn das die Begrüßung gewesen sein sollte«, meinte Queens kehlig, »dann weiß ich schon jetzt, daß der Gastgeber mir unsympathisch ist. Der lacht ja, als würden ihn Blutegel am Gaumen kitzeln.«
    »Du hast eine verteufelte Art, einem in schwierigen Lagen Vertrauen einzuflößen. Aber du hast den Nagel auf den Kopf getroffen. Dieses Lachen war nicht sonderlich freundlich.«
    »Wenn du dasselbe denkst wie ich, dann wirst du zu dem Schluß kommen, daß wir wie die Kaninchen in der Falle sitzen und daß unser unbekannter Freund Grund für sein monströses Lachen hatte. Wir sitzen wirklich in der Falle.«
    Queens ließ seine Finger suchend über die nasse Felswand gleiten, die ihrem weiteren Vormarsch ein Ende gesetzt hatte. Er stieß auf einen Vorsprung, der sich wie ein Hebel anfühlte. Er riß daran.
    Es quietschte wie tausend ausgeleierte Matratzen. Der Fels setzte sich unter seinen Fingern in Bewegung und schwang beiseite. Der Fotograf sprang im Reflex zurück und stolperte gegen Patrick Morgan. Sie fielen beide hin. Das Metall der Kameras schlug auf den Boden.
    Vor ihnen gähnte eine Öffnung, die ein unwirkliches blaues Licht verströmte. Das schauderhafte Gelächter ertönte wieder. Diesmal ungleich lauter. Es war ein unmenschliches Geräusch, und selbst der hartgesottene Barry Queens konnte es nicht vermeiden, daß sich an seinen Unterarmen eine Gänsehaut bildete, die nicht mehr verschwinden wollte.
    Die Männer rappelten sich mühselig auf.
    Neugierig streckten sie ihre Köpfe durch die Öffnung, die sich so unerwartet vor ihnen aufgetan hatte. Sie hatten Mühe, den gewaltigen Anblick auf Anhieb zu verdauen.
    Die Helligkeit stammte von Fackeln, die an den Wänden in eisernen Ringen steckten, doch sie beleuchteten dichte Dämpfe, die aus Erdlöchern hochstiegen und sich tiefblau der steinernen Decke des Gewölbes entgegen wanden. Die Erdlöcher waren wie kleine Krater. Ihre Kanten stachen scharf und spitz gegen den rauhen, aber ansonsten ebenen Steinboden ab.
    Die Quelle des Gelächters war nicht zu sehen. Dumpfes Schweigen lastete in dem blauen Gewölbe, dessen Qualm Schwaden zur Öffnung zogen, die sich nach dem zufälligen Handgriff Queens’ gebildet hatten