045 - Schizophrenia - Nächte des Wahnsinns
in der Nähe die
Zapfsäulen sehen. »Ein Traum... vielleicht war alles nur... ein böser Traum«,
sagte sie abwesend.
Auf
der Fahrt nach Hause beobachtete X-RAY-9 mehr seine Beifahrerin als die nächtliche
Straße. Gina war ein Nervenbündel und fing scheinbar grundlos an zu schluchzen.
In ihren Augen spiegelte sich ein Licht, das ihm nicht gefiel. Dieses Mädchen
hatte etwas Grauenhaftes erlebt...
●
Hier
war in der Tat alles alt . Die Häuser, die Geschäfte, die Ristorantes.
Das Mädchen lotste ihn zu einem fünfstöckigen Haus. Wankend näherte sie sich
dem Eingang. Die Haustür war nicht verschlossen. Wortlos geleitete der Agent
die junge Italienerin auf der knarrenden Holztreppe durch das muffig riechende Mietshaus.
Gina wohnte im dritten Stock.
Sie
schob zitternd den Schlüssel in die Wohnungstür. »Vielen Dank«, sagte Gina
tonlos und blickte ihren Begleiter wie abwesend an. »Ohne Sie wäre ich nie nach
Hause gekommen... nach Hause, wie sich das anhört... Ich habe schon gar nicht
mehr damit gerechnet, dieses Zuhause überhaupt noch mal zu sehen...« Gina
sprach mit gleichgültiger Stimme. Wie ein Roboter.
»Ich
werde Sie besuchen, sobald es hell ist«, versprach Ramonez. »Schlafen Sie
gut...« Er wollte noch andere Dinge sagen, aber im Anbetracht von Ginas Zustand
unterließ er es wohlweislich. Wenn bei Tagesanbruch dieser Zustand unverändert
war, mußte ein Arzt hinzugezogen werden.
Als
die Tür klappte, vernahm er im Hintergrund aus der Wohnung eine verschlafene
Stimme. »Ich glaube... sie kommt...« Jemand hustete trocken. »Auch höchste
Zeit... Gina?« wurde die männliche Stimme dann lauter. »Bist du’s?«
»Si,
Papa«, antwortete die Zweiundzwanzigjährige, und Ramonez glaubte so etwas wie
ein Erkennen in ihren Augen aufblitzen zu sehen. Aber schon im nächsten Moment
war die Leere und endlose Traurigkeit wieder da. Gina drückte die Tür hinter
sich ins Schloß.
Ramonez
blieb lauschend stehen, vernahm die Schritte, die in die Wohnung gingen, und
dann Stimmen. Noch jemand von der Familie war wach geworden und machte Gina
Vorwürfe, daß sie so spät kam und wie ein Elefant durch die Wohnung trampele...
Ramonez kehrte der Wohnungstür den Rücken. Zwei Minuten später saß er wieder in
seinem Auto. Die Erzählung des jungen Mädchens ging ihm nicht aus dem Sinn. Er
fuhr die Strecke zurück, bog in den Waldweg ein und aktivierte dann seinen
PSA-Ring. In knapper Form berichtete er von dem eigenartigen Zusammentreffen
mit dem Mädchen und teilte der PSA-Zentrale in New York mit, daß er den Ort des
Geschehens in aller Ruhe noch mal unter die Lupe nehme.
»Es
gibt Gründe, die mich veranlassen zu glauben, daß an dem Erlebnis des Mädchens
etwas dran ist. Ich kann es nicht begründen. Es ist ein Gefühl... nichts
weiter...« Genau das war einer der Punkte, die einen PSA-Agenten ausmachten:
Gefühlen nachgehen, Intuitionen nicht abwürgen. Da vernahm X-RAY-9 das Knacken
zwischen den Büschen. Im gleichen Augenblick wußte Ramonez, daß er nicht mehr
allein in dem nächtlichen Wald bei Mombello war.
●
Dem
Knacken folgte ein Rascheln im fauligen Laub und im Gebüsch. Etwas entfernte
sich aus der Nähe des Platzes, an dem der Fiat abgestellt war. Etwas?
Ramonez
hatte ein Gehör dafür. So bewegte sich kein Tier. So bewegte sich ein Mensch...
Der Spanier hielt den Atem an, lauschte einige Sekunden in die stockfinstere
Nacht und folgte auf Zehenspitzen dann den sich entfernenden Schritten. Hatte
der andere ihn gesehen oder war er nur noch mal an den Ort seiner Tat
zurückgekehrt, einer Tat, die so schrecklich war und für die bisher außer Ginas
Hinweis jeglicher Beweis fehlte?
Juan
y Ramonez alias X-RAY-9 war wie alle PSA-Agenten für besondere Situationen
geschult. Er war gespannte Aufmerksamkeit, und so entging ihm nicht, daß der
Verfolgte manchmal stehenblieb und in die Nacht lauschte. Ramonez war schnell
und wendig genug, sofort zu reagieren und augenblicklich zum Stillstand zu
kommen. Er verharrte im dichten Gebüsch und wartete, bis es weiterging. Obwohl
er sich anstrengte, um etwas zu erkennen, blieb dieser Versuch ergebnislos. Die
Schwärze ringsum schluckte alles. Es ging immer tiefer in den nächtlichen Wald
hinein. Dann hörte Juan y Ramonez in der Dunkelheit ein metallisches Geräusch,
als würde ein Schlüssel im rostigen Schloß gedreht werden. Atemlos pirschte der
Agent näher. Er hörte, wie eine eiserne Türfalle gedrückt wurde.
Eine
halbe Minute
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