0450 - Sukos Totenfeier
Handlungen automatisch tat. Er hielt sich auch an Geschwindigkeitsbegrenzungen, und niemand konnte ihn dabei wegen eines Verkehrsvergehens belangen.
Als er eine etwas stillere Straße erreicht hatte, stoppte er an der linken Seite und beugte sich zu Shao hin. Der Gurt hatte sie auch in den Kurven gehalten. Sie saß da, als würde sie schlafen. Ihr Gesicht war nur so blass und kalt.
Noch hielt sie die Augen offen. Der Blick war starr gegen die Frontscheibe gerichtet, und dort schien sie in unendliche Fernen zu schauen, als würde sie direkt ins Paradies sehen.
Suko hob seinen linken Arm an und streckte ihn aus. Mit den Fingerkuppen berührte er die Haut seiner Partnerin, und erst jetzt bewegten sich seine Mundwinkel in einem schmerzhaften Zucken.
Suko berührte die Stirn der Toten, er fuhr an den Seiten des Gesichts entlang, und seine Finger glitten dabei über die Haut der Wangen. Auch die Lippen ließ er nicht aus. Sie waren noch warm, während die Haut bereits abkühlte. »Shao…«
Wieder sprach er nur dieses eine Wort. Es hörte sich so fremd an, als wäre in seinen Stimmbändern etwas zerrissen. Sie hatten ihm alles genommen. Shao war für ihn die Zukunft gewesen, er hatte sich auf sie verlassen, und nun war sie auf eine so spektakuläre und grausame Weise ums Leben gekommen.
Suko drückte sich wieder zurück und legte seine Hände auf den Lenkradring. Er schaute hinaus, sah die dunkle Straße, hin und wieder die Scheinwerfer eines vorbeifahrenden Wagens, ansonsten war es still.
Niemand störte ihn. Er war allein mit seinen Gedanken und mit einer toten Person.
Erinnerungen wollten nicht kommen. Er konnte überhaupt nicht mehr denken, wenigstens nicht an eine Zukunft, die für ihn nicht mehr existierte.
»Ja, Shao«, sagte er. »Ich werde dich wegbringen. Wir fahren auf den alten Friedhof, von dem nur wir beide etwas gewusst haben. Wie oft sind wir dort spazieren gegangen. Hast du mir nicht mal gesagt, dass du, wenn du einmal gestorben bist, dort begraben sein wolltest? Ja, das hast du gesagt, und diesen letzten Dienst werde ich dir auch erweisen, bevor ich sie mir hole. Sie werden keine Chance haben. Der Reihe nach hole ich sie. Jeder kommt dran, jeder…«
Mehr sagte Suko nicht. Seine Finger fanden den Zündschlüssel, und er startete wieder.
Diesmal lenkte er den Wagen in eine etwas belebtere Gegend und bog bald in eine schmale Gasse ab, die schon im Ortsteil Paddingston lag, aber noch nicht im Schatten des berühmten Bahnhofs.
Die Reifen holperten über unregelmäßiges Pflaster. Sehr eng standen hier die Häuser beisammen. Nur hinter wenigen Fenstern brannte Licht.
Die meisten waren dunkel.
Am Ende der Straße lenkte Suko den Wagen schräg auf den schmalen Gehsteig, stieg aus und lief auf eine Tür zu, vor der ein Rollgitter hing.
In einem bestimmten Rhythmus klopfte Suko dagegen, bevor er einen Schritt zurücktrat und wartete.
Lange brauchte er nicht so zu stehen, denn sein Klopfen war gehört worden. Über der Tür öffnete sich ein Fenster. Suko hörte es nur am Knarren des Flügels, Licht wurde nicht eingeschaltet.
»Chu Tang!«
»Ja.«
»Ich bin es, Suko.«
»Ah, Suko. Was kann ich für dich tun?«
»Öffnen.«
»Es ist gut, ich komme. Warte einen Moment.« Chu Tang schloss das Fenster wieder.
Suko wusste, dass er sich auf diesen »Vetter« verlassen konnte. Er würde ihm geben, was er brauchte. Wer zu Chu Tang kam, hatte immer ein bestimmtes Anliegen.
Schon sehr bald wurde das Rollgitter von innen her in die Höhe geschoben. Aber nur bis zur Hälfte, Suko duckte sich und betrat einen kleinen Flur, der gleichzeitig auch als Geschäftsraum diente. In ihm roch es exotisch und gleichzeitig wunderlich.
Nach Räucherkerzen, nach Wachs, nach fremdartigen Gewürzen, auch nach Tee.
»Ich mache dir Licht, Suko.«
Der Inspektor blieb stehen, während Chu Tang davonschlurfte und Licht machte.
An den Wänden standen die gefüllten Regale. In der unteren Hälfte waren sie mit Schubfächern ausgerüstet, in denen Chu Tang geheimnisvolle Dinge verwahrte.
Er war schon alt. Die meisten seiner Pülverchen stellte er selbst her. Die Rezepte hatte er von seinem Vater bekommen, und der wieder von dessen Vater. Chu Tang hatte auch einen Sohn, und er hoffte, dass dieser in seine Fußstapfen treten würde.
»Was kann ich für dich tun, Suko?«
»Du weißt, dass deine Besucher meist einen traurigen Grund haben, um zu dir zu kommen.«
Der alte Chu Tang nickte, und sein faltiges Gesicht
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