0452 - Die finstere Seele
machte die Wirkung sich bemerkbar. Der Ernüchterungszauber, der noch lange nachgewirkt hatte, schwand jetzt erst langsam. Gryfs Gedanken wurden oberflächlicher. Noch waren seine Hände sicher, sein Blick annähernd klar, aber die Probleme glitten allmählich zurück, entzogen sich seiner Reichweite.
Er lächelte.
Das hatte er für eine Weile gewollt. Er wußte, daß das keine Lösung war. Alkohol hatte noch nie ein Problem lösen können, sondern sie höchstens um das Problem Alkohol vergrößert, aber er wollte das alles wenigstens in dieser Nacht von sich schieben.
Etwas in ihm öffnete sich. Es war eher eine lockere Spielerei, daß er mit seinen Para-Sinnen auf Empfang ging .
Er las nicht die Gedanken der Menschen in der Hotelbar. Die interessierten ihn nicht. Aber er streifte ändere Menschen in Baton Rouge. Diesen oder jenen, hier oder dort… ganz kurz nur. Er wollte nicht einmal wirklich wissen, was sie dachten, er wollte die Abgründe ihrer Seelen nicht ausloten. Er wollte nur aus einer Laune heraus mit seinen telepathischen Kräften spielen .
Und da vernahm er den gedanklichen Hilfeschrei!
Einen Schrei tiefster Verzweiflung und Todesnot!
Der Druide reagierte blitzschnell.
Das Whiskeyglas, das er noch in der Hand hielt, fiel auf die Theke, kippte um und vergoß seinen Inhalt. Gryf peilte den Standort des Gedankenschreis an - erhob sich und machte dadurch die entscheidende Vorwärtsbewegung, mit der er den zeitlosen Sprung einleiten mußte.
Die überraschten Blicke der wenigen Menschen, die sein Verschwinden sahen, bemerkte er nicht mehr.
***
Eysenbeiß, die wandernde Seele, schlug zu. Für den ehemaligen Großen gab es im körperlosen Zustand keine Hindernisse mehr. Kaum hatte er sich aus dem Körper Leonardo deMontagnes gelöst, als er frei schweben konnte und feste Wände mühelos durchdrang.
Er näherte sich dem auserwählten neuen Körper. Er überrumpelte ihn und drang ein. Der ursprüngliche Geist spürte im letzten Moment, was geschah, versuchte sich zu wehren und ließ seinen Körper um Hilfe schreien. Aber alles ging viel zu schnell. Wenige Augenblicke nach dem Beginn des Überfalls war auch schon alles vorbei.
Das ursprüngliche Bewußtsein war verdrängt.
Fort, verschwunden in irgend welchen Tiefen.
Eysenbeiß breitete sich in dem neuen Körper aus. Er füllte ihn aus, übernahm die Kontrolle. Erstaunt stellte er fest, daß er einige Probleme mit der Koordination hatte. Der Körper war anders , und anscheinend arbeiteten auch Teile des Gehirns nicht so, wie Eysenbeiß es gewohnt war. Das Empfinden, das Reagieren auf bestimmte Reize war fremdartig.
Er öffnete die Augen und betrachtete die Einrichtung der Wohnung. Sie war indianisch angehaucht. Zahlreiche Bilder und Gegenstände, viele Handarbeiten deuteten darauf hin.
Aber das allein konnte es nicht sein.
Eysenbeiß durchstreifte die kleine Wohnung, fand das Schlafzimmer mit dem breiten Bett. Er sah den Ankleidespiegel und sah sich darin.
Die Überraschung konnte nicht größer sein. Was er sah, war der Körper einer Frau !
Sekundenlang war er unaufmerksam.
Und da war plötzlich der ursprüngliche Geist wieder da, startete einen Gegenangriff und versuchte Eysenbeiß aus dem Körper wieder hinauszukatapultieren!
***
Tendyke versuchte noch einmal nach Julian zu greifen, aber der Junge war schon fort. Der Abenteurer murmelte eine Verwünschung. Er starrte seinen Hut an, der noch naß war. Seine Kleidung war pulvertrocken, als läge der Sturz und der verzweifelte Überlebenskampf im Wasser schon viele Stunden zurück.
Den nassen Stetson wollte er erst noch nicht aufsetzen. Er behielt ihn also in der Hand.
Julian!
Ausgerechnet Julian war hier aufgetaucht! Und es schien, als habe er sich von Château Montagne gelöst - und nicht nur von dem Schloß an der Loire. Sondern auch von den Freunden, von seiner Mutter und seiner Tante…
Da stimmte etwas nicht.
Julian hatte sich verändert.
Es war weniger die Art seines Verschwindens, die Tendyke erstaunte. Julian war auch früher zwischendurch einmal verschwunden. Wie er das machte, hatte keiner jemals beobachtet. Tendyke wußte nur, daß sein Sohn sich Traumwelten erschuf und darin verschwand. Doch er fühlte, daß es diesmal anders war. Julian hatte sich nicht in einen Traum zurückgezogen. Er mußte woandershin gegangen sein, auf eine Weise, die Tendyke nicht verstand.
Nicht verstehen wollte…
Denn er kannte diese Art der Fortbewegung. Sie ähnelte zu sehr einer ganz
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