0452 - Die finstere Seele
Fluch. Hilflos das Sterben eines Menschen verfolgen zu müssen - was konnte es Schlimmeres geben?
Und wie viele mochten noch gestorben sein oder in den nächsten Minuten oder Stunden sterben? Wie viele Passagiere hatte es in dem Flugzeug gegeben, das nicht einmal einen SOS-Funkruf hatte senden können, weil auch dafür Strom benötigt wurde?
Keiner würde überleben.
Niemand wußte doch, wo das Flugzeug abgestürzt war! Wenn es vermißt wurde, hatte bei diesem Seegang auf dem Golf von Mexiko auch den letzten der Meeresgott Poseidon geholt!
Rob Tendyke fühlte sich nicht als Leichenfledderer, als er den Mann erreichte, dessen Abzeichen auf der Uniform ihn als Bordingenieur kennzeichneten, und er die Schwimmweste von dem Leichnam löste. Den Mann holte ohnehin keine Macht der Welt mehr ins Leben zurück; seine Seele hatte sich längst endgültig von seinem Körper gelöst.
Tendyke schaffte es, die nächste Woge zu überstehen, ohne die Weste zu verlieren, und dann schnallte er sie sich um.
Sie würde ihn immer noch wieder nach oben bringen.
Aber wozu?
Hatte Robert Tendyke, der Abenteurer, nicht nur sein Sterben verlangsamt?
Aber wenn schon! dachte er. Wenn ich jetzt sterbe, kommt es nicht überraschend, und diesmal habe ich die Zeit, mich auf den Weg nach Avalon zu konzentrieren, damit ich wiederbelebt werde!
Dachte er.
Die Strömung trieb ein Fragment des Flugzeug-Druckkörpers heran, ohne daß er es sah. Im nächsten Moment erwischte es ihn mit einem mörderischen Schlag.
In diesem Moment war für Robert Tendyke alles vorbei. Er sank in die tiefe, endlose Schwärze, die ihn für alle Ewigkeit verschlingen wollte.
***
Der Fürst der Finsternis starrte den Mann an, der vor ihm stand, ihn anschrie, gestikulierte und ihn beschimpfte. Den Mann, der verlangte, sofort nach Baton Rouge zurückgebracht zu werden, in seine Heimat.
Aber der Fürst der Finsternis war in diesem Moment nicht bereit, sich mit Ombre, dem Schatten; zu befassen. Er hatte ihn doch nur herbeigeholt, um mit ihm zu reden, nicht um ihn zurückzubringen! Er wollte ihn auf seine Seite ziehen.
Aber in diesem Moment gab es etwas Wichtigeres.
Der Versuch, Ombre zu holen, zeitigte unerwünschte Nebeneffekte.
Julian Peters, Fürst der Finsternis und äußerlich ein junger Mann von etwa achtzehn Jahren, obgleich er gerade mal, rein kalendermäßig gesehen, ein Jahr alt sein mochte, konzentrierte sich auf das, was geschehen war.
Er hatte sich der überwachenden Kontrolle seines Vaters, Robert Tendyke und der Freunde Tendykes entzogen. Er war es leid, ständig beschirmt und bemuttert zu werden, als könne er sich nicht selbst gegen feindliche Kräfte schützen. Aber es war sinnlos, den anderen, die sich »Erwachsene« nannten, klarmachen zu wollen, wie gut er schon auf eigenen Beinen stehen konnte.
Deshalb hatte er sich von ihnen gelöst.
Und er hatte sich auf den Thron des Höllenfürsten gesetzt, ohne daß jemand ihn daran hindern konnte. Wer es versuchte, bekam die Macht des Telepathenkindes zu spüren, in dem sich das Erbe seiner Mutter, die Telepathie, mit dem Erbe aus der väterlichen Linie zu etwas potenzierte, das es bisher noch niemals gegeben hatte.
Prophezeiungen hatten dafür gesorgt, daß die Hölle ihn fürchtete. Dämonenfürsten hatten versucht, ihn zu töten, bevor er mächtig wurde. Die Versuche waren fehlgeschlagen. Jetzt konnten sie es nicht mehr. Jetzt war er ihr Herr. Er war stärker als sie alle. Einige ahnten es noch nicht, aber sie würden es zu spüren bekommen. Julian genoß seine Stärke, seine Macht. Aber er vergaß auch nicht, daß er trotz allem noch eine Menge zu lernen hatte.
Lernen war ihm noch nie schwergefallen. Er sog Wissen in sich auf wie trockener Schwamm das Wasser, und was er einmal aufgenommen hatte, vergaß er nie wieder. Er konnte sein Wissen auch stets folgerichtig abrufen und anwenden, ohne viel dafür an Gedankenarbeit tun zu müssen.
Eines blieb ihm noch fremd: die Beziehung zu Ombre, dem Schatten.
Etwas verband ihn mit dem Neger aus Baton Rouge, etwas, das schon existiert haben mußte, ehe Julian geboren wurde. Denn schon damals hatte eine geheimnisvolle Kraft Ombre immer wieder nach Florida gelockt, wo Julians Eltern lebten. Und da war noch etwas: Shirona, die seltsame Frau aus dem Nichts, die plötzlich in Julians Traumwelten aufgetaucht war, sich schützend vor Ombre stellte und versuchte, einen Kontakt zwischen Julian und Ombre möglichst zu verhindern…
Julian wußte immer noch nicht,
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