0454 - Der blutrote Zauberteppich
Dalmain nach, während er gegen das Gitter schaute und die Schwärze dahinter sah. Sie war plötzlich nicht mehr so dicht, denn etwas durchzuckte sie wie ein heller fließender Schatten. Gleichzeitig vernahmen die Freunde die lauten, wilden und wütenden Schreie einer aufgeputschten Menge, die sich unbedingt an dem Schauspiel einer Verbrennung ergötzen wollten.
»Der Mob!« flüsterte Pierre. »Ich höre ihn. Er wartet bereits, um uns vernichten zu können.«
»Ja, so war es immer, so wird es auch bleiben. Haben wir nicht selbst schon Menschen lodern sehen?«
»Hexen und Teufelsdiener.«
»So sagt man.«
»Du glaubst es nicht?«
»Nein. Und ich hoffe, daß diejenigen, die von uns haben fliehen können, ebenso denken wie ich. Inzwischen mache ich mir große Sorgen um den Fortbestand des Ordens. Viele sind ermordet worden, viele in zahlreiche Winde verstreut. In der vergangenen Nacht bekam ich eine Vision. Ich sah in die Zukunft, und ich weiß jetzt, daß es nie mehr so sein wird, wie es einmal gewesen war. Die Templer werden nicht mehr den Zusammenhalt bekommen, der nötig ist. Sie werden weiterleben, aber sie werden sich auch gegenseitig zerfleischen. Gruppen werden sich bilden, man wird sie jagen, sie gehen in den Untergrund, und auch die Hölle wird einen starken Einfluß gewinnen. Die alten Ideale schwinden dahin. Die böse Zeit der Templer bricht an, Pierre.«
»Du machst mir Angst!«
»Das war nicht meine Absicht, mein lieber Freund. Aber ich sage es dir so, wie ich es gesehen habe. Auch wenn eine Rettung in letzter Sekunde gelingen würde, es änderte sich nichts daran. Wir sind es, die verloren haben.«
Die Stimmen, zu Beginn nur mehr vereinzelt zu hören, verstärkten sich nun. Sicherlich hatten die Oberen Wein ausgeben lassen, damit der Mob angeheizt wurde. Er hatte sich bereits formiert, denn sie hörten auch die dumpfen Echos, die durch die Gassen hallten.
Sie kamen…
Pierre Dalmain bewegte seine blutverkrusteten Hände und ballte sie zu Fäusten. Die dabei entstehenden Schmerzen ignorierte er. »Sie werden kein Glück haben!« flüsterte er. »Nicht der Mob, nicht der König und auch nicht der verräterische Papst. Was sie mit uns taten oder noch tun werden, war einfach zu viel.«
»Es ist soweit!« sagte de Molay. »Ich höre die Soldaten. Sie sind schon an der Kerkertür.«
In der Tat waren die schweren Schritte zu vernehmen. Das Klirren der Waffen und schweren Ketten begleitete sie. Zwei Riegel mußten zur Seite geschoben werden, bevor die Soldaten die Kerkertür öffnen konnten.
Sie traten ein.
Es waren mehrere. Eine Macht an Gewalt, Tod und Vernichtung. Menschen, die nur Befehle ausführten. Ihnen war es egal, ob sie für den König, den Kaiser oder die Kirche »arbeiteten«. Nur der Sold mußte stimmen, alles andere interessierte sie nicht.
Sie drängten sich näher. So dicht gingen sie nebeneinander her, daß sich ihre Schultern berührten.
Zwei von ihnen hatten Fackeln mitgebracht, deren zuckendes Licht über Boden, Wände und Decke des Kerkers fiel. Brustpanzer glänzten, als wären sie mit dünnem Blut bestrichen worden, und es traten die Männer vor, die Ketten trugen.
Die Gefangenen schauten sie von unten herauf an. Die Gesichter der Soldaten zeigten einen grausamen Zug. Ebenso kalt wie das Metall der Helme, die auf ihren Köpfen saßen.
Sie bückten sich. Wie Geierkrallen schossen ihre kräftigen Hände vor und rissen die beiden Templer in die Höhe. Weder de Molay noch sein Freund Pierre Dalmain besaßen die Kraft, sich auf den Beinen zu halten. Andere Soldaten mußten sie stützen, damit sie nicht umfielen. In der offenen Verliestür wartete der Folterknecht. Er trug wieder sein schwarzes Trikot und hatte die muskulösen Arme vor der Brust verschränkt. Auf den dicken Lippen lag ein kaltes Grinsen.
»Ich werde euch zum Feuer begleiten«, sagte er, »und zuschauen, wie ihr zu Asche werdet.«
Die Templer antworteten nicht. Ihnen waren die Arme aus den Rücken gedreht worden, damit die Ketten um die Gelenke geschlungen werden konnten. Neben dem schweren Atmen der Folterknechte war auch das Klirren der Ketten zu vernehmen. Sie waren mit harten Eisenspangen versehen, die sich wie Klammern um die Gelenke der Templer legten. Ketten wären nicht nötig gewesen, die beiden Verurteilten hätten es auch so nicht geschafft, irgendeinen Fluchtversuch zu unternehmen, aber man wollte eben einem alten Ritual folgen.
Die Soldaten stießen sie aus dem Kerker. Manchmal traf sie der
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