0454 - Der blutrote Zauberteppich
Gegend von Paris.
Der Templer war vorsichtig. Er sicherte erst nach allen Seiten, bevor er den Kopf drehte und nickte.
»Es ist frei«, meldete er, »wir können gehen.«
Ich hielt ihn noch fest. »Und wohin genau?«
»Wir werden einen Platz finden, wo wir in Ruhe den Teppich besteigen können.«
Ich fügte mich. Schließlich kannte er sich hier aus und nicht ich. Paris ist eine alte Stadt. Noch heute gehen zahlreiche Touristen den Berg hoch oder lassen sich mit Bussen nach oben transportieren.
Viele nehmen auch die zahlreichen Treppen, die es anstelle der schmalen Gassen gibt, und auch wir gingen eine solche Treppe hoch, deren Stufen vor uns in einem geheimnisvollen Dunkel verschwanden, so daß sie mir vorkamen, als würden sie von einer Schattenwelt verschluckt.
Bertrand de Valois ließ es sich nicht nehmen, an der Spitze zu gehen. In den vergangenen Minuten schien dieser Mann eine große Energie getankt zu haben. Ich hatte ihn als eine ausgemergelte Gestalt kennengelernt. Davon war kaum etwas zu merken.
Und er kannte sich aus.
Zwar hörten wir Stimmen, aber uns begegnete niemand. Diesen düsteren Weg schien jeder meiden zu wollen. Außerdem hatten die Leute Angst. Die vergangenen Greueltaten waren noch nicht vergessen, und die Furcht trieb die Menschen in ihre Häuser. Wer wußte schon, wie die Schergen des Königs reagierten, wenn sie jemand auf der Straße trafen?
Plötzlich umwehte uns feuchter Dunst. Er roch nach gewaschener Wäsche und strömte aus einem halbrunden Loch unten an der Hauswand. Dahinter mußte wohl eine Waschküche liegen.
Irgendwann endet jede Treppe. Auch diese hier. Sie führte zu einem kleinen Platz, der schon ziemlich hoch lag und nicht nur von Hausfronten eingerahmt wurde.
Ich entdeckte die dicht belaubten Bäume, hörte das Gurgeln eines kleinen Bachs und sah auch die am Boden liegenden, schnarchenden Gestalten.
Bertrand de Valois winkte uns zu. Wieder folgten wir ihm, drangen in den leeren Raum zwischen zwei Baumstämmen ein, gingen einen schlangenförmig verlaufenden schmalen Pfad entlang und erreichten eine Stelle, wo die Aussicht besonders gut war. Man sah die Seine und die Ile de la Cité, damals Juden-Insel genannt.
Ich war dicht neben Bertrand stehengeblieben und spürte, wie er zitterte. Dazu hatte er auch allen Grund, denn auf der Insel gab es einen Fleck, der in rotgelbes und gleichzeitig düsteres Feuer getaucht war. Genau die Stelle, wo der mächtige Scheiterhaufen brannte und Funken spie.
Bisher hatte ich den Templer von der relativ ruhigen und gelassenen Seite kennengelernt. Das änderte sich schlagartig. Bertrand de Valois wurde nervös. Ihm konnte es nicht schnell genug gehen.
Er kniete nieder und rollte den Teppich aus. Dabei wies er seinen drei Mitbrüdern an, hier oben zu warten.
»Und du kommst mit, mir, John?«
»Ja, ich bleibe bei meiner Meinung.«
»Dann rasch.«
Er stand schon auf dem Teppich, als ich ihn erst mit dem rechten Fuß berührte. Ich setzte auch den linken darauf, starrte nach unten und wartete förmlich, daß sich die Hände der drei im Teppich gestorbenen Magier zeigen würden.
Sie blieben verschwunden!
Bertrand de Valois aber richtete seinen flehenden Blick gegen den dunklen Nachthimmel, während seine Lippen Worte formulierten, die sich mit Jacques de Molay und dessen Rettung beschäftigten.
Er sprach auch den Teppich an und flehte darum, daß er ihn erhörte.
Der Teppich aus dem Orient tat uns den Gefallen. Auf einmal stieg er in die Höhe.
***
Früher war sein Haar graublond gewesen, jetzt hatte sich seine Farbe verändert. Es war schwarz, nur noch zur Hälfte vorhanden, dazu verdreckt, verfilzt und angebrannt, als man ihm die glühenden Eisen in den Nacken und gegen die Wangen gepreßt hatte.
Nur eine von vielen Foltern, die Jacques-Bernard Molay hinter sich und auch ertragen hatte, ohne den Mund einmal zu öffnen. Nur als sie sich mit seinen Fingernägeln beschäftigt hatten und Philipp der Schöne dabei zusah, war ein Fluch über seine Lippen gedrungen, über den der König nur gelacht und ihm den Tod versprochen hatte.
Sein Begleiter hatte nicht diese Stärke gezeigt. Seine Schreie waren durch die Verliese gehallt und hatten selbst manchen Folterknecht nicht kalt gelassen.
Der Mann hieß Pierre Dalmain, stammte aus Avignon und hatte die Kreuzfahrten ins Heilige Land mitgemacht. Er war seinem Freund de Molay nicht von der Seite gewichen. Beide hatten sie gekämpft und auch den Teppich gefunden, der als Beutestück
Weitere Kostenlose Bücher