0454 - Der blutrote Zauberteppich
mit nach Frankreich genommen wurde.
Da sie zusammenhielten, hatte man sie auch gemeinsam gefoltert. Alle Varianten waren durchgespielt worden. Dalmain wunderte sich manchmal, daß er noch lebte. Es hatte auch Sekunden gegeben, da war er dem Wahnsinn sehr nah gewesen.
Pierre Dalmain ging es schlechter als Jacques de Molay. Er fieberte. Sein Körper war über und über mit Wunden bedeckt. Blutkrusten, auch schon verschorft, hatten ein Muster gezeichnet. Die Augen waren stumpf geworden, die Finger bluteten immer wieder.
Sie lagen auf feuchtem Stroh und waren sich über ihr Schicksal im klaren.
Philipp der Schöne war in den Kerker gekommen und hatte ihnen persönlich mitgeteilt, wie sie sterben sollten.
Auf dem Scheiterhaufen!
De Molay wußte nicht einmal, ob Dalmain dies bewußt wahrgenommen hatte. Er jedenfalls hatte mit seinem Kampf- und Leidensgefährten auch nicht weiter darüber gesprochen.
Im Kerker roch es scheußlich. Nach Blut, Erbrochenem und Schweiß. Es gab keinen Abtritt, Tiere lebten oft besser. Licht fiel durch eine halbrunde Gitteröffnung in der Wand. Sie konnten sehen, wenn die Sonne aufging, das war alles. Ein Tag war wie der andere.
Jacques de Molay wußte mehr. Man hatte ihm erklärt, wann er sterben sollte.
Und er hatte das Datum nicht vergessen. In der folgenden Nacht sollte es soweit sein.
Vielleicht auch schon am Abend, er wußte es nicht, aber die Dunkelheit kroch bereits über die Stadt und auch über die Insel, auf der sich der Kerker befand.
In den letzten Stunden hatte man sie nicht mehr gefoltert. Man gab ihnen sogar zu essen. Eine Wassersuppe mit einem Hauch von Fischgeschmack.
Durch die Reduzierung der Folter war es Pierre gelungen, sich wieder ein wenig zu erholen. Jedenfalls konnte er sprechen und nicht nur stöhnen, wie zuvor, auch wenn seine Lippen geschwollen und die Worte kaum verständlich waren.
Nebeneinander lagen sie und starrten gegen die Decke, wo Spinnen ihre Netze gewoben hatten. Eine zitternde Hand tastete sich vor und erfaßte Molays Arm.
»Was ist, mein Freund?«
Pierre lachte krächzend. »Es ist fast so wie früher, Jacques. Erinnerst du dich, als wir in den kalten Wüstennächten nebeneinander lagen und gegen den Sternenhimmel schauten? Da haben wir miteinander gesprochen. Wir machten uns gegenseitig Mut für den nächsten Tag, weil wir wußten, daß Kämpfe bevorstanden.«
»Das ist vorbei.«
»Nein, mon ami, das ist nicht vorbei. Der größte Kampf beginnt erst noch. Ich weiß Bescheid.«
»Worüber?«
Dalmain riß sich zusammen, bevor er die Antwort gab. »Wir werden brennen!«
Molay schwieg.
»Habe ich unrecht, Jacques?«
»Du weißt es also?«
»Ja, ich habe es mitbekommen, und ich verspüre nicht einmal Angst. Die Folter war schlimmer. Verzeih, daß ich geschrieen habe, aber ich besitze nicht deine innere Stärke.«
»Du hast aber nichts verraten.«
»Das stimmt in der Tat. Meine Lippen blieben geschlossen. Sie haben nicht das erfahren, was sie wissen wollten, und dies freut mich besonders. Diese verdammten Schweine. Sie wollten unsere Schätze, sie haben uns hintergangen, aber wir zeigten ihnen die wahre Stärke. Ich will, daß es immer so bleibt.«
»Das verspreche ich dir, Pierre. Auch wenn uns die Flammen erfassen, schreien wir nicht.«
Dalmain mußte eine Pause einlegen, bevor er wieder reden konnte. Dann fragte er: »Glaubst du an eine Befreiung, Jacques?«
»Ich gebe die Hoffnung nie auf.«
»Aber wer sollte es schaffen? Hat man unsere Freunde nicht alle getötet oder verjagt?«
»Nicht alle sind unter den Schwertern der Soldaten gestorben. Das darfst du nicht vergessen.«
»Wer wird sich um uns kümmern wollen?«
»Ich weiß es nicht. Ich weiß auch nicht, was sie gesucht haben, den Teppich aber haben sie nicht gefunden. Er gehört uns, er ist ein Trumpf, begreifst du das?«
»Schon. Nur brauchen wir jemand, der diesen Trumpf auch einsetzen kann. Auf wen können wir uns verlassen?«
»Bertrand de Valois soll noch leben.«
Pierre atmete scharf aus. »Weiß er von unserem Fundstück aus dem Morgenland?«
»Ja, ich sprach mit ihm darüber. Jetzt bin ich froh, es getan zu haben. Vielleicht befreit er den Teppich aus seinem Versteck. Da muß noch eine alte Schuld beglichen werden. Ich habe ihn befreit, und ich hoffe, daß er sich daran erinnert.«
»Eine Wunderwaffe ist er auch nicht, Jacques.«
»Da gebe ich dir recht. Es kommt immer darauf an, in wessen Händen sich der Teppich befindet.«
Über diese Worte dachte
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