0456 - Der Geisterseher
nach dem Gnom und umschlang ihn mit seinen Armen, drückte ihn gegen seinen Bauch. »Himmel, was bin ich froh, daß Er noch unter den Lebenden weilt! - Aber«, und er stieß den Schwarzen wieder von sich, »das berechtigt Ihn nicht, mir vor die Füße zu laufen, so daß ich stolpern muß! Rede Er - was führt Ihn in solcher Hast hierher?«
Der Gnom sah ihn verwirrt an. Die überschwengliche Liebesbezeigung seines Herrn, der jetzt versuchte, das nachträglich wieder zu vertuschen, brachte ihn durcheinander. Nicole, mit ihren telepathischen Fähigkeiten, zu deren Nutzung es allerdings des direkten Sichtkontaktes wie in diesem Moment bedurfte, fing seinen Gedanken auf: Sollte dieser Fettklotz sich wirklich für meinen Freund halten? Dann könnte die Behauptung meines Dämons ja doch stimmen, daß ich gegen den Pakt verstoßen hätte, weil jemand mein Freund geworden sei! [1]
Sie sah sich um. Auch Zamorra hatte es mittlerweile entdeckt und wies Don Cristofero darauf hin: der Erhängte hatte sich in Nichts aufgelöst. Er war einfach verschwunden.
»Zumindest wissen wir nun, daß dieser hier der echte ist«, stellte der Parapsychologe fest und deutete auf den Namenlosen. »Wie ich vorhin schon zu Nicole sagte: Wir sollten vorerst zusammen bleiben. Wir alle. Dann können wir sicher sein, nicht auf einen Spuk hereinzufallen, wenn wir einen aus unserer farbenprächtigen Truppe sehen. Wir werden noch Raffael und die Zwillinge zu uns holen, und dann werden wir gemeinsam überlegen, was wir tun können.«
»Ich muß Euch etwas sagen«, sagte der Gnom, kaum daß Zamorra mit seiner Ansprache zu Ende war. »Etwas Wichtiges.«
»Dann los!«
Der Gnom eilte voran. Schnaufend stapfte Don Cristofero als Schlußlicht hinterdrein. Er wirkte immer noch bestürzt und fassungslos.
»Was willst du uns zeigen, und wohin führst du uns?« rief Zamorra dem vorauseilenden Zauberer hinterher, aber der schien ihn nicht hören zu können oder es nicht zu wollen. Er vergrößerte seinen Vorsprung beträchtlich. Es ging nach unten, dann zum Keller und die breite Treppe hinab in den ›Verteiler‹, von dem aus mehrere nicht minder breite Gänge in die unterirdischen Tiefen mit ihren unzähligen kleinen und größeren Räumen führten, die teilweise als Vorratsräume, größtenteils aber als Weinkeller benutzt wurden.
Doch so tief hinab ging es gar nicht mehr.
Abrupt war der Gnom im ›Verteiler‹ stehengeblieben. Zamorra schloß zu ihm auf, Nicole folgte. Dann schnaufte Don Cristofero heran.
Vor ihnen breitete sich ein riesiges Spinnennetz aus. Es füllte den gesamten Raum vom Boden bis zur Decke aus und sperrte ihn ab. Nur an den Seiten gab es die schmalen Durchschlupfe zwischen den Trageschnüren, an denen das Netz hing. Die zahlreichen klebrigen Knoten glitzerten im Kunstlicht. Die Fäden mochten so dick sein wie Bindfäden. Sie schimmerten in einem ekelerregenden Weißgrau.
Von der Spinne selbst war nichts zu sehen, aber der Größe des Netzes entsprechend mußte sie etwa die Abmessungen eines Schäferhundes haben.
Dafür war etwas anderes zu sehen.
Ein Opfer, das sich im Netz verfangen hatte und hilflos darin verstrickt hing: »Monica!« entfuhr es Nicole.
***
»Wie stellst du dir diese Hilfe vor?« fragte Cascal. Er hatte sich erhoben und stand nun hinter Julian. Obwohl er nicht nennenswert größer war, wirkte er mit seiner durchtrainierten, muskulösen Gestalt doch massiger als der Fürst der Finsternis.
»Ich verfüge über genug Mittel, herauszufinden, was geschehen ist«, sagte Julian gelassen. »Und ich kann sie dann befreien. Ich verlange nichts dafür. Keinen Pakt, mit deinem oder Angeliques Blut unterschrieben, keine Versprechungen, nichts. Ich werde auch eure Seelen nicht in Gefahr bringen. Es wird ihr nicht mit Schwarzer Magie geholfen werden, so daß die Höllenmächte daraus später Ansprüche ableiten könnten.«
Cascal preßte die Lippen zusammen. »Die Höllenmächte«, wiederholte er gedehnt. »Du sprichst das so aus, als fühltest du dich ihnen nicht zugehörig.«
Julian lachte leise.
»Du versuchst viel aus den Worten anderer herauszulesen«, sagte er. »Du bist sehr mißtrauisch und achtest auf Kleinigkeiten. Aber vielleicht liest du manchmal zuviel - oder das falsche.«
»Und was ist in diesem Fall richtig?« hakte Ombre sofort ein.
Julian antwortete nicht. Er sah Cascal nur fragend an. »Ja oder nein?«
»Ja, zum Teufel!« stieß Ombre hervor. »Hilf ihr, wenn du es kannst!«
Julian sah ihm an, daß
Weitere Kostenlose Bücher