0456 - Gedungen und zum Mord bestellt
geradezu heiter, wie ich sie sonst nicht kannte. Ich vermutete, daß sie für den Abend eingeladen war, wollte aber nicht weiter in sie dringen, als sie auf meine Frage nur lächelte und nicht antwortete. Wir saßen auf ihrer Couch, tranken einige Tassen Tee und knabberten Gebäck aus einer großen Dose, die, wie sie sagte, ein Geschenk von ,ihm’ war. Ich hatte keine Ahnung, wen Carol an der Hand hatte. Ich blieb etwa eine Stunde in ihrer Wohnung. Es war kurz nach fünf, als ich Carol wieder verließ. Sie hat mich nicht zum Gehen gedrängt. Im Gegenteil, sie bedauerte es, daß ich so schnell wieder fort wollte. Sie brachte mich bis zur Tür und sagte: Rufe mich morgen nachmittag an. Ich würde mich über deinen Besuch freuen! An diesem Abend hatten wir nämlich keine Vorstellung. Ich fuhr mit dem Lift nach unten. Als ich auf die Straße trat, stand Carol am Fenster und winkte. Ich war erschüttert, als ich am nächsten Morgen in der Zeitung von dem entsetzlichen Mord las. Ich habe ihr diese Tat nicht zugetraut, erst recht nicht an diesem Tage.«
Ich las den Bericht ein zweitesmal, legte die Akte aus der Hand und schloß die Augen.
»Hast du des Rätsels Lösung gefunden?« fragte Phil.
»Ja und nein — aber gerade fällt mir ein, daß inzwischen sechzehn Jahre vergangen sind, und daß aus der kleinen Tänzerin Shirley Mason wohl schon die Frau eines Millionärs geworden sein kann.«
Phil gab unserer Zentrale den Auftrag, alle dicken Telefonbücher von New York nach Shirley Mason, Tänzerin, zu durchforschen.
»Hast du die Aussage gelesen?« fragte ich meinen Freund.
»Ja, aber nur flüchtig.«
»Sie besteht aus zwei Teilen — einmal dem gut einstudierten Teil. Immer wieder hebt die Zeugin die gute Stimmung von Miß Landini hervor. Sie stellt Carol als einen scheuen Menschen dar, der kaum Männerbekanntschaften hat. Charakteristisch der Satz: Ruf mich morgen nachmittag an. Ich würde mich über deinen Besuch freuen. Der Mord war also nicht vorgeplant, sondern sollte Totschlag im Affekt bedeuten. Mit einer verminderten Zurechnungsfähigkeit und allen erdenklich mildernden Umständen. Bis dahin ist die Aussage genau einstudiert gewesen, so ähnlich wie die Tatschilderung von Carol Landini. Aber dann kommt der nicht einstudierte Teil. Die Zeugin muß auf zwei überraschende Fragen geantwortet haben. Einmal: Wie war Ihre Gemütsbewegung, als Sie am nächsten Morgen in der Zeitung von dem Mord lasen? Sie antwortete impulsiv und wahrheitsgetreu: Ich war entsetzt. Und dann die zweite Frage: Trauten Sie Miß Landini eine solche Tat zu? Ich hätte es ihr nie zugetraut.«
»Du bist also überzeugt, Jerry, daß diese Shirley eine Menge mehr weiß und damals etwas verheimlicht hat? Aber diese Aussage ist bei der Gerichtsverhandlung vorgelesen worden. Warum hat Miß Landini nicht Einspruch zu der Zeugenschilderung erhoben?«
»Weil sie sich ja verurteilen lassen wollte. Das war ihre Rolle.«
Aus dem Archiv erfuhren wir, daß die Prints des toten Bitcher mit den Abdrücken im Archiv übereinstimmten, Der Tote war also wirklich Al Bitcher.
Auch die Suche in den Telefonwälzern hatte Erfolg. Nach einer halben Stunde erhielten wir die Auskunft: »Es gibt nicht weniger als sieben Shirley Masons in New York, aber nur eine Tänzerin. Sie wohnt in der 43. Straße West 214. Ich gebe Ihnen auch die Telefonnummer.«
Ich notierte mir Adresse und Telefonnummer und bedankte mich. Den Hörer hielt ich gleich ans Ohr gepreßt, tippte nur auf die Gabel, ließ sie wieder hochschnellen und wählte die Nummer. Schon nach dem zweiten Rufzeichen wurde am anderen Ende abgehoben. Eine Frauenstimme meldete sich mit einem Namen, den ich nicht verstand.
»Geben Sie mir bitte Miß Shirley Mason«, verlangte ich.
»Sie ist leider nicht im Haus.«
»Wann kann ich sie erreichen?«
»Heute nicht mehr.«
»Ist sie an einem Theater oder Variete verpflichtet?«
»Darüber kann ich Ihnen leider auch keine Auskunft geben«, antwortete die Frau. Ich bedankte mich und legte auf.
»Es müßte schon ein dicker Glückszufall sein, wenn diese Shirley eben jene ist, die wir suchen«, sagte Phil nachdenklich.
»Glück muß ein G-man manchmal haben. Jedenfalls werden wir uns auf ihre Spur setzen und die Dame näher ansehen.«
Ich betrachtete das gelungene Foto. Phil schmunzelte und gab zu bedenken: »Auch sie wird fünfzehn Jahre älter geworden sein, verlaß dich darauf.«
»Wir wollen nur hoffen, daß in der Zwischenzeit ihr Gedächtnis nicht
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