0456 - Shao - Phantom aus dem Jenseits
an die schwerste Stunde seines Lebens.
Er schüttelte jetzt den Kopf, als wollte er damit dokumentieren, dass er ein neues Kapitel im Buch seines Lebens aufgeschlagen hatte.
»Nein, John, ich gehe mit.«
»Gut.«
Sheila hielt sich zwischen uns. Wir waren wieder in den Dunst eingetaucht und sprachen nicht über Shao. Suko erklärte uns, dass sie sich auf die Jagd nach Shimada begeben hätte und auch dafür sorgen wollte, dass Susanoo vernichtet wurde.
»Kann sie das denn schaffen?« fragte ich.
Suko hob beide Arme an. »Das weiß ich nicht, das kann ich auch nicht glauben. Zudem hat sie selbst gesagt, dass sie noch sehr viel lernen muss und gewissermaßen bei Amaterasu in die Lehre gehen will. Sie soll ihr einiges zeigen.«
»Ich rechne trotz allem mit ihr!«
»Ich auch, John. Nur - es ist ein sehr komisches Gefühl, wenn man wieder allein ist. Es werden sicherlich Zeiten kommen, wo ich denke, dass es Shao nicht mehr gibt.«
»Das kann sein.«
»Dann kannst du dich bei uns aussprechen, Suko«, sagte Sheila. »Dafür sind wir da. Freunde müssen zusammenhalten.«
Suko lächelte. »Ich weiß, ich danke dir auch dafür. Doch es gibt Dinge im Leben eines Menschen, die kann er nur mit sich selbst ausmachen. Das werdet auch ihr wissen.«
Wir stimmten ihm zu.
Mittlerweile hatten wir das Ende des Hangs erreicht. Jetzt brauchten wir nur noch den Friedhof zu überqueren, um zum Wagen zu gelangen. Der Nebel hatte zum Glück nicht zugenommen. Sternenklar war der Himmel hoch über uns. Das Funkeln der Gestirne erreichte uns wie blitzende Grüße aus der Unendlichkeit.
Wieder sahen wir die grauen Schleier, wie sie sich lautlos um die Grabsteine drehten.
Monster, Gesichter, Fratzen - alles war hier vorhanden. Und auch eine ungewöhnliche Kühle, die sich zwischen den Grabsteinen festgesetzt hatte. Es wurde Zeit, dass wir diesen alten Friedhof verließen.
Sheila war die Kälte auch aufgefallen. »Spürt ihr sie?« fragte sie. »Ich habe den Eindruck, von einem Eishauch gestreift zu werden.« Sie blickte zu uns hoch. »Das kann doch nicht stimmen - oder?«
»Sie hat recht«, meinte Suko und blieb stehen.
Auch ich ging nicht mehr weiter. Wir standen zwar nicht dicht beisammen, aber wir schauten in dieselbe Richtung und hatten das Gefühl, als würde etwas mit den Grabsteinen geschehen.
»Leben sie?« hauchte Sheila.
Fast sah es so aus, denn die Figuren und Fratzen begannen zu zittern.
Und das war diesmal keine optische Täuschung.
Ich wollte die Probe aufs Exempel machen, trat dicht an einen Grabstein heran und fasste ihn an.
Sofort zuckte meine Hand wieder zurück.
»Was hast du?« rief Suko.
»Er hat sich erwärmt.«
»Dann steckt dämonisches Leben in ihm.« Bei diesen Worten hatte der Inspektor schon seine Dämonenpeitsche geholt und schlug einmal einen Kreis über den Boden.
Ich wusste, was kam, ging zu Sheila und hielt sie fest.
Die drei Riemen waren aus der Peitsche gerutscht und schleiften noch über den Boden, bis Suko diese ungewöhnliche Waffe plötzlich anhob und ausholte.
Er drosch zu.
Seitlich führte er den Schlag. Die Riemen wickelten sich nicht nur um einen schmalen Grabstein, sondern auch um die böse grinsende Fratze, die auf der Vorderseite des Steins zu sehen war.
Ein schreckliches Gesicht, das bisher starr geblickt hatte, nun aber lebte.
Die Züge begannen zu zittern, sie veränderten sich und flössen dabei ineinander. Augen, in den Stein hineingeschält, wurden zu weichen, klumpigen Gebilden, die am Stein entlangrannen und im Gras versickerten.
Suko war wieder zurückgetreten. Ich hatte die Lampe hervorgeholt, richtete den Strahl aber noch gegen den Boden, wo die Dunstschwaden dampften.
Mein Freund nickte. »Auf diesem Friedhof ist noch etwas«, sagte er leise.
»Bleiben wir?« fragte Sheila.
»Ja«, sagte ich, »obwohl es besser wäre, wenn du…«
»John, leuchte mal.« Suko hatte mich unterbrochen. Ich drehte mich und hielt meinen Arm fast waagerecht mit einem leichten Knick nach unten.
Das weiße Licht fand seinen Weg in die Lücken zwischen den Gräbern, und es traf auch ein anderes Licht, das aus dem gesamten Untergrund des Friedhofs strahlte.
Nicht weiß, dennoch hell, aber leicht blau angehaucht. Eine kalte, beinahe grausame Farbe, die für uns gleichzeitig ein Wegweiser sein konnte.
»Blau«, murmelte Suko. »Du weißt Bescheid?«
»Ich ahne es.«
»Wovon sprecht ihr?« fragte Sheila.
Ich winkte ab. »Wir haben nur einen Verdacht. Drücke die Daumen, dass er
Weitere Kostenlose Bücher