0456 - Shao - Phantom aus dem Jenseits
jagte einen dritten hinterher.
Shimada bewegte sich wie ein Irrwisch. Was kaum zu glauben war, geschah tatsächlich. Durch sein schnell bewegtes Schwert konnte er die Pfeile abwehren, die irgendwo zu Boden fielen und im Gras versanken.
Dann jagte er selbst los.
Der gewaltige Sprung brachte ihn in Shaos Nähe. Voller Panik schrie Suko den Namen seiner Gefährtin, die nicht mehr dazu kam, noch einmal zu schießen, und sich gezwungen sah, den Rückzug anzutreten.
Aber war es dafür nicht zu spät?
Nein, sie bekam Hilfe.
Blitzschnell und aus dem Nichts leuchtete Amaterasus rote Sonne auf.
Shao brauchte wiederum nur einen kleinen Schritt nach hinten zu gehen, um die Dimensionen zu wechseln.
Sie trat in die Sonnenscheibe hinein, die für einen anstürmenden Gegner wie eine Mauer und gleichzeitig ein Trichter wirkte.
Shimada, mitten im Sprung, prallte dagegen. Sein Körper geriet aus der Kontrolle. Für uns sah es so aus, als wäre er gegen eine Walze gerannt. Arme und Beine hatte er ausgestreckt, aber er fiel nicht mehr zurück, denn als die rote Sonne verschwand, bekam er die mörderische Sogwirkung zu spüren, die ihn tief hineinzog in eine unheimliche Schwärze. Er entschwand unseren Blicken.
Auch das blaue Licht verschwand, die Umgebung nahm wieder ihre Normalität an.
Suko kam zu mir. Er schaute dabei dorthin, wo beide verschwunden waren. »Ich glaube, John, wir haben tatsächlich einen Schutzengel.«
»Der Shimada vernichtet hat?«
»Nein, meine Lieben, soweit ist es noch nicht.« Shaos Stimme klang, als käme sie aus den Wolken. »Amaterasu hat recht gehabt. Ich muss noch sehr viel lernen. Wäre ihre Sonne nicht gewesen, hätte Shimada mich vernichten können. So aber lebe ich…«
»Und Shimada?« rief Suko laut.
»Um ihn zu vernichten, muss man sich andere Dinge einfallen lassen. Lebt wohl, meine Freunde…« Die Stimme der Chinesin hallte noch einmal nach, dann umgab uns wieder die nächtliche Stille dieses alten, unheimlich wirkenden Friedhofs.
Wir blieben zurück und sagten nichts. Suko stützte sich auf einen Grabstein. Sheila und ich fühlten mit ihm. Nach einer Weile hob er die Schultern und richtete sich auf. »Ich glaube, Freunde, dass wir hier nichts mehr verloren haben -oder?«
»Du hast recht.«
»Dann lasst uns gehen!«
Schweigend kehrten wir dem Friedhof den Rücken. Ob wir noch einmal herkommen mussten, stand in den Sternen…
***
Gegen ein Uhr morgens trafen wir im Yard Building ein. Noch vom Empfang aus rief Sheila ihren Mann an, während wir nach oben fuhren, wo Sir James bereits voller Ungeduld in seinem Büro wartete.
Er atmete auf, als ich Suko über die Schwelle schob. Mein Freund und Kollege hatte noch ein schlechtes Gewissen, aber Sir James erwähnte das Thema nicht. Er empfing den Inspektor wie einen verlorenen Sohn und drückte ihm kräftig die Hand.
»Bitte, setzen Sie sich.«
Sogar Glenda war noch da. Sie brachte uns Kaffee, schließlich kam Sheila hinzu, später auch Bill, und wir konnten berichten.
Sehr lange saßen wir zusammen. Erst als der Morgen graute, trennten wir uns.
Suko und ich würden im Bereitschaftsraum schlafen, die Conollys fuhren heim und nahmen Glenda mit.
Schließlich blieben der Inspektor und ich zurück. Wir standen neben dem Fahrstuhl, und Suko fragte mit leiser Stimme: »Well, John, kommen jetzt die alten Zeiten zurück?«
»Wie meinst du das?«
»Die vor Shao.«
Ich schüttelte den Kopf. »So sehe ich das nicht. Die Zeiten sind besser geworden.«
»Du bist ja nicht betroffen.«
»Nein, aber ich habe auch keinen so guten Schutzengel wie du, mein Freund. Daran solltest du auch denken.«
Die Antwort, als Frage gestellt, die Suko mir gab, hätte ich nie erwartet.
»Können Schutzengel auch küssen und noch mehr…?«
Erstaunt drehte ich mich um. »Das weiß ich nicht.«
»Eben«, sagte Suko, »und das genau ist das Problem…«
ENDE
[1] Siehe John Sinclair Nr. 455 »Der Lord und die Geister-Lady«
[2] Siehe John Sinclair Nr. 450 »Sukos Totenfeier«
Weitere Kostenlose Bücher