046 - Der Schatten des Werwolfs
und bewegte die Hände. Leben kam in die regungslosen Gestalten. Sie bewegten sich, schüttelten verwundert die Köpfe und stierten Olivaro an.
»Guten Tag, meine Herrschaften«, sagte Olivaro. »Sie alle erhielten durch Mittelsmänner den Auftrag, ein gewaltiges Bauwerk zu entwerfen. Sie sollten Ihrer Phantasie freien Lauf lassen, versuchen, etwas Neuartiges zu schaffen. Aber unter den Plänen fand ich nichts Neues.«
»Wer sind Sie?«, fragte Enrique de Egas.
Er war klein, sein Haar schlohweiß.
»Mein Name ist Olivaro«, sagte der selbsternannte Herr der Finsternis laut.
»Sie sind also der Auftraggeber?«, fragte ein anderer Architekt.
»Richtig«, stellte Olivaro fest. »Ich studierte Ihre Entwürfe ganz genau, meine Herren. Einige von Ihnen machten es sich besonders leicht. Ich will aber etwas völlig Neues und nicht eine Kopie der Pyramiden. Einer aus Ihrer Mitte hatte die Frechheit, mir den Turm zu Babel unterjubeln zu wollen. Dabei zeichnete er dreist von Bruegels berühmtem Gemälde ab. Ich will keine Kopien. Haben wir uns verstanden, meine Herren?«
Jan van der Heyden stand rasch auf. Er war ein bulliger Architekt, dessen Bauten Weltgeltung erreicht hatten.
»Wir sind alle Ihrem Ruf gefolgt, Mr. Olivaro«, sagte er laut. »Ich kann mich zwar nicht erinnern, wie ich hierher gekommen bin, aber das ist im Augenblick auch nicht wichtig. Um es ehrlich zu sagen, ich wollte Ihren Auftrag ablehnen, aber irgendetwas trieb mich dazu, mich damit zu beschäftigen. Was es war, kann ich nicht sagen. Das versprochene Honorar war es aber auf keinen Fall. Ich überlegte und ließ meiner Phantasie freien Lauf, doch ich merkte schnell, dass ich weitere Informationen benötigte. So einen unpräzisen Auftrag hatte ich nie zuvor erhalten. Ich soll das gewaltigste Bauwerk entwerfen, das die Welt je gesehen hat, aber ich weiß nicht einmal, welchen Zweck es erfüllen soll, wie groß es werden darf, wo es gebaut werden soll.«
Olivaro lächelte. »Ich wollte Sie in Ihrer Phantasie nicht einengen, meine Herren. Ich war gespannt, was sich die besten Architekten einfallen lassen würden. Aber die Ergebnisse sind recht dürftig. Keiner der Vorschläge entspricht auch nur im Entferntesten meinen Erwartungen.«
»Dann geben Sie uns endlich nähere Informationen, Mr. Olivaro!«, brüllte Carimo Fangago wütend.
»Die bekommen Sie«, versprach Olivaro.
Ich hatte dem Gespräch nur mit halbem Ohr zugehört. Immer wieder ging mein Blick zu Coco, die gelangweilt ins Leere starrte.
»Wann?« Fangago ließ nicht locker.
»Wenn Sie zu den Häusern zurückkehren, finden Sie alles vor, was Sie benötigen. Ich würde vorschlagen, sehen Sie sich einmal die Unterlagen an. Besprechen Sie alles untereinander! Vielleicht kommt bei einer Teamarbeit mehr heraus. Sie können gehen, meine Herren.«
Alle standen auf. Die Männer wirkten noch immer recht seltsam auf mich. Jeder Zweifel war ausgeschlossen. Sie standen im Einflussbereich der Dämonen. Ich wunderte mich, dass es mir nicht auch so ging.
Ich passte meine Bewegungen den anderen an, als wir uns zu den Häusern begaben. Alle stürzten sich auf die Unterlagen. Auch ich nahm sie zur Hand. Das Gebäude sollte auf dem Atoll errichtet werden, auf dem wir uns befanden. Es war etwa fünf Kilometer lang, zwei Kilometer breit und von einigen Lagunen durchsetzt.
Ich legte den Plan zur Seite und schüttelte den Kopf. Weshalb wollte Olivaro hier ein Bauwerk errichten? Und welchem Zweck sollte es dienen? Das hatte er nämlich bis jetzt noch nicht gesagt.
Ich musterte meine Kollegen, die die kümmerlichen Unterlagen studierten, hörte ihren erregten Diskussionen aber kaum zu, sondern versuchte mich zu erinnern.
Der Schlüssel musste bei meinem Treffen mit den Oppositionsdämonen zu finden sein. Es war kein Zufall, dass ich mich im Körper Ronald Chasens befand. Die Dämonen mussten gewusst haben, was Olivaro plante.
Meine Aufgabe war klar. Ich musste Olivaro töten. Aber das würde alles andere als leicht sein. Ich musste mir etwas einfallen lassen.
»Hast du dir diese Nieten angesehen?«, fragte Olivaro, als die Architekten das Versammlungshaus verlassen hatten.
»Sie interessieren mich nicht«, erwiderte Coco.
»Das sollten sie aber«, brummte Olivaro. »Immerhin sollen sie das Bauwerk entwerfen, das ich dir schenken will. Doch ich fürchte, dass sie nichts Besonderes zustande bringen werden. Sie denken in zu engstirnigen Bahnen. Wenn ich da an Männer wie Michelangelo oder Leonardo da
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