046 - Drakula lebt
Überzeugung zu rechtfertigen suchte. „Betrachten Sie es als eine parasitäre Spezies“, fuhr ich helfend fort. „Eine, die nach unserem Tod vom Körper Besitz ergreift, die aber schon vorher in uns ist. Sie wird durch den Biß übertragen. Vielleicht sind es Mikroorganismen. Keime.“
Der ‚Magische Keim’ fiel mir ein, den Lukard erwähnt hatte. Und noch etwas kam mir siedendheiß in den Sinn. Ich war gebissen worden. Ich trug diesen Keim in mir. Die Schwester hatte es selbst gesagt, als sie ihren Meister um dieses Privileg angegangen war.
‚Aber es wäre Vergeudung, nicht zu nehmen, was bereits den Keim in sich trägt!’
Und danach: ‚Meister, ich war dir immer treu. Gib ihn mir!’
Es war, als spürte ich gleich darauf ihren Biß, so deutlich war die Erinnerung. Ich schreckte auf und fühlte Barbaras Blick auf mir. In ihren Augen war Furcht und halbes Begreifen.
Ich hatte den Keim in mir!
Etwas in mir krümmte sich, wand sich unter diesem Gedanken, nein, dieser Erkenntnis. Ich würde einer von ihnen sein. Sonja, die Patienten, die Opfer des Beißers – sie alle trugen den Keim in sich. Niemand konnte wissen, wie viele es bereits waren. Das also mußte Lukard geheim halten um jeden Preis.
Aber vielleicht war es noch nicht zu spät. Noch lebte ich. Noch mochte es eine Rettung, eine Heilung geben. Irgend etwas mußte es doch geben, das diesen Prozeß aufhielt, das verhinderte, daß ich aus dem Grab stieg – als einer von ihnen, als Werkzeug unmenschlicher Kräfte.
Dann kam ein anderer Gedanke: Warum fürchtete ich es so sehr? Mußte es mir nicht gleich sein, was nach meinem Ableben mit meinem Körper geschah? Meine Erinnerungen würden erloschen sein. Eine konservierende Substanz würde meinen Körper vom Faulen abhalten, und eine nichtmenschliche Intelligenz würde diesen Körper benutzen. Auf ihre Art wollte sie ebenfalls leben. Lebten wir nicht auch um jeden Preis?
Was war es also, das mich so sehr erschreckte? Daß das persönlichste Gut. der Körper, weiterlebte unter fremder Herrschaft? Nein. Es waren tiefer verwurzelte Ängste vor allem, was aus dem Grab kam, vor allem, das wider die Natur war.
Dieser Körper würde dazu benutzt werden, das Blut anderer Menschen zu trinken!
Das war es: Sie lebten von unserem Blut! Der Gedanke wurde nicht erträglicher dadurch, daß sie aufhörten, dafür zu morden, sondern es kauften und aus kristallenen Gläsern tranken! Auch das hatte Lukard angedeutet.
„Harry! Harry!“ Barbara riß mich aus dieser grauenvollen Gedankenwelt. „Willst du damit sagen, Sonja …“ Sie sprach den Satz nicht aus. Aber auch Inspektor Hartwig begriff, was sie meinte. Er nickte bedächtig.
„Vielleicht“, antwortete ich ausweichend. „Die alten Legenden können wahr sein oder auch nicht. Nicht alles stimmt. Vieles wurde dazu gedichtet. Aber es wird am besten sein, Inspektor, wenn Sie die Namen der Patienten der Klinik in Erinnerung behalten. Es könnte sein, daß Sie sie eines Tages jagen werden, wie diesen Beißer in der Stadt.“
Ich schalt mich im gleichen Augenblick, daß ich es gesagt hatte. Ich würde eines Tages vielleicht einer von ihnen sein, dann jagte mich Hartwig. Fühlte ich es nicht schon manchmal? Die Berührung der Sonne war mir bereits schmerzlich erschienen. Konnte es sein, daß der Keim bereits wirkte? Begann der Alptraum schon, noch bevor mein Bewußtsein erloschen war? Erlosch es vielleicht nie? Blieb die Erinnerung an Harald Fuchs bestehen, solange der Körper keine Ruhe fand?
„Wer durch den Biß eines, Vampirs stirbt“, sagte ich langsam, „wird im Grab keine Ruhe finden. So wenigstens sagt es die Legende.“
„Was ist mit der Verwesung?“ fragte Barbara.
„Diese Keime halten sie auf. Aber ein Geruch von begonnener Fäulnis haftet ihnen an. Ich weiß es, weil ich ihnen ganz nahe war. Sie benützen starke Desinfektionsmittel, um es zu verbergen. Und wenn die Sonne sie trifft – dann verwesen sie in wenigen Minuten.“
„Das kann nicht stimmen“, warf Hartwig ein.
„Doch. Als wir flohen, mußten wir eine dieser Schwestern …“ Ich hielt inne, als das Erinnerungsbild deutlich wurde. Ekel würgte mich. „Sie verfaulte buchstäblich vor unseren Augen. Ein kleiner Haufen von Staub und Knochen war alles, was blieb.“
„Wir sahen einige von ihnen an den Fenstern, auch Lukard.“
Ich nickte. „Sie müssen irgendein Mittel gefunden haben, das es möglich macht. Aber es kostet sie sehr viel Kraft, und es scheint nur kurzzeitig zu
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