046 - Drakula lebt
brachte mich ins Haus und sagte mir, in welches Zimmer ich mich bemühen sollte. Ich bemerkte das Kreuz an ihrem Ärmel. Da wußte ich, daß ich auf der richtigen Spur war. Allerdings ging ich nicht in das angegebene Zimmer, sondern sah mich gründlich um. Aus einem der Büroräume rief ich Dr. Fellner an, um ihn zu informieren. Dabei wurde ich überrascht. Aber ich verließ die Klinik nicht, wie man Ihnen glauben machen wollte, sondern ich flüchtete in einen Raum, in dem diese kleinen aufgespießten Fledermäuse standen. Zu Hunderten, wie ich schon sagte. Ich versuchte die Türen zu verbarrikadieren. Dabei fielen ein paar von den Kerlchen vom Tisch und von ihren Pfählen. Sie wurden lebendig, so wahr ich hier stehe, und sie richteten mich so zu, wie der gute Lukard mich auf der Straße gefunden haben wollte.“
Ich sah ihn abschätzend an. Es war nicht zu erkennen, was er von meinem Bericht hielt. Barbaras Miene dagegen war weniger verschlossen.
„Was haben sie getan?“ fragte sie mit einem Zittern in der Stimme.
„Mich gebissen und mein Blut getrunken“, erklärte ich.
Ihr Blick ließ keinen Augenblick von mir. Völlig überraschend stellte sie fest: „Der Beißer muß dann …“ Sie stockte. „Muß er nicht einer von ihnen sein?“
„Ja“, erklärte ich. „Er ist sicher einer von ihnen.“ Ich wandte mich an den Inspektor. „Ich habe es Ihnen damals verschwiegen, weil ich mich selber für verrückt hielt. Aber in jener Nacht, als der Beißer das Mädchen anfiel, und Freddie und ich dazukamen, da verschwand er uns unter den Händen – auf offener Straße. Ich klammerte mich fest an ihn, und er flog. Er wedelte mit seinem Umhang und schlug mit den Armen auf und ab. Erst als er tatsächlich abhob, mit mir auf dem Rücken, da fiel mir auf, daß das kein Umhang war, sondern mit seinem Körper verwachsen schien, wie riesige Hautlappen. Er flog nicht besonders gut mit mir auf dem Rücken. Wir landeten beide unsanft. Dann schrumpfte er. Freddie kam dazu. Er sah es genauso gut wie ich. Eine Fledermaus war alles, was von dem Spuk übrig blieb.“
Hartwig saß da und schüttelte den Kopf. Barbara sah mich mit offenem Mund an.
„Mir ist klar, daß ihr das alles erst verdauen müßt“, fuhr ich fort, „aber es kommt noch besser. Lukard scheint so etwas wie ein emanzipierter Vampir zu sein, und er ist dabei, seit Jahrhunderten seinesgleichen um ihn zu sammeln. So wenigstens verstand ich es aus den Gesprächen, die sie führten. Erst hielt ich es für Irrsinn. Aber ich hatte mit eigenen Augen gesehen, wie sie sich verwandelten. Warum sollten sie nicht auch länger leben können – oder untot sein, wenn man es treffender bezeichnen will? Es geht sehr rasch mit dem Glauben, wenn man erst ein Teilchen akzeptiert hat. Alles fügt sich so nahtlos ineinander. Lukard ist ein Wesen, das seine dämonischen Leidenschaften, wie er es selbst bezeichnet, unterdrückt hat. Freilich kommt er ohne Blut nicht aus. Auch das synthetische tut’s nicht. Er braucht die echte Substanz. Und er hält sich seine Patienten wie Milchkühe, die er einmal im Monat melkt. So lange braucht das synthetische Blut, um im Körper zu echtem zu werden. Er ist Wissenschaftler. Er sucht nach Methoden, in unserer modernen Gesellschaft zu überleben, in der er auf althergebrachte Weise keine Chance haben würde. Aber nicht alle seine Schäfchen sind so kultiviert wie er selbst. Den meisten jucken noch die Zähne, und er hat seine rechte Mühe mit ihnen. Vielleicht ist der Beißer einer, der ihm entwischen konnte, und der auf eigene Faust handelt. Fest steht jedenfalls, daß er einer von ihnen ist.“
Hartwig schüttelte erneut den Kopf. „Sie reden über diesen Irrsinn, als ob es sich um etwas Natürliches handelte. Dabei widerspricht es allen Naturgesetzen. Ich weiß nicht, warum ich Ihnen zuhöre!“
„Weil Sie selbst unsicher geworden sind“, machte ich ihm klar. „Aus irgendeinem Grund sind diese elementaren Ängste des mittelalterlichen Geistes plötzlich Wirklichkeit. So real wie Sie und ich. Hatten die Alten zuviel Glauben, oder nennen Sie es Aberglauben, so haben wir zuwenig. Vielleicht gibt es bald einen wissenschaftlichen Namen dafür und eine Menge Theorien. Das steht immer am Anfang. Mir jedenfalls ist es ein Beweis, daß die Ängste der Alten nicht nur ihren düsteren mittelalterlichen Seelen entsprangen, sondern einen realen Grund hatten.“ Ich sah ihn nachdenklich an, bemerkte, wie es in ihm arbeitete, wie er seine halbe
Weitere Kostenlose Bücher