0460 - Der grausame Wald
ich denke so, aber ich weiß, daß es trotzdem noch Dinge gibt, die man nicht sieht, die aber trotzdem vorhanden sind.«
»Deine Geisterwelt, wie?«
»So ist es.«
Er lachte und schüttelte den Kopf. Gleichzeitig wunderte er sich über die Gesprächigkeit seiner Frau. »Und wo, bitte, finde ich die Geisterwelt, von der du weißt?«
»Überall.«
»Auch hier im Zimmer?«
»Ja, Gordon, wir sind von Geistern umgeben. Du siehst sie nicht, sie zeigen sich nicht. Sie bleiben zurück, sie verstecken sich, sie…«
»Hör doch auf, das ist Unsinn.«
»Nein, es stimmt. Ich habe lange meditiert, ich habe sie gespürt, ich bemerkte sie…«
»Dann mußt du ja auch den Geist unseres Jungen bemerkt haben, oder wie sehe ich das?«
»Dies eben nicht. Und es heißt für mich, daß er noch am Leben ist. Er wird kommen.«
Gordon Seymour lehnte sich zurück. Er preßte seine Handflächen gegen die Wangen und wußte nicht, mit welchen Argumenten er seiner Frau entgegentreten sollte. »Hör mal zu. Nicht nur wir haben einen Sohn verloren, andere Eltern auch. Der Schmerz war schlimm, wir haben uns ja auch getroffen, aber keine Mutter undauch kein Vater reagiert so wie du und redet von einer anderen Welt.«
»Sie haben keine Ahnung. Ja, sie haben nicht einmal den Versuch unternommen, nach dieser Welt zu forschen. Sie nahmen es als Schicksal hin, daß ihre Kinder nicht mehr zurückkehrten.«
»So etwas Ähnliches ist es auch wohl.«
»Ich kämpfte dagegen an.«
»Mit Erfolg?«
»Das werden wir sehen, Gordon. Ich bin fest davon überzeugt, es schaffen zu können.«
»Ich nicht.« Er stand auf. Seine Frau schaute verwundert zu ihm hoch und fragte: »Wo willst du hin?«
»Nach oben. Ich setze mich vor die Flimmerkiste und ziehe mir den Whisky rein. Etwas anderes bleibt einem ja nicht mehr.«
»Du willst ihn nicht empfangen? Ihn in die Arme schließen, wenn er an der Tür erscheint?«
»Nein, das will ich nicht.« Seymour bewegte seinen linken Arm. »Das will ich überhaupt nicht. Ich glaube an diesen verdammten Mist nicht. Das ist mir alles zu blöd, zu dumm, was weiß ich…«
»Du bist ein Mensch, der seinen Sohn nicht liebt!« flüsterte die Frau. »Nein, du liebst ihn einfach nicht. Es ist schlimm, aber eine Tatsache. Du kannst ihn nicht geliebt haben, weil du so reagierst.«
»Hör auf, verflucht. Ich will es nicht mehr hören. Jeden Abend ist es das gleiche. Entweder schweigst du oder redest so ein dummes, dämliches Zeug. Gute Nacht.«
»Du wirst dich wundern, Gordon«, rief sie ihm nach. »Du wirst dich noch wundern.«
»Ja, meinetwegen.«
Gordon Seymour war sauer. Er fühlte sich von seiner Frau auf den Arm genommen. Als er die Treppe hochstieg, durchwühlten schlimme Gedanken seinen Kopf. Er dachte ans Ausziehen, an Trennung, einfach alles hinschmeißen und liegenlassen.
Im Schlafraum stand der Apparat. Wie immer waren die Betten auch diesmal nicht gemacht. Für so etwas hatte Edna keine Zeit mehr, seit sich ihr Geist in anderen Sphären bewegte.
Gordon Seymour hatte den Kasten so hingestellt, daß er im Bett liegend auf die Mattscheibe schauen konnte. Er warf sein Jackett über einen Stuhl, zog den Schlips ab und auch die Schuhe aus.
Danach ließ er sich auf der Bettkante nieder. Mittels Fernbedienung schaltete er den Kasten ein und sofort um, weil ihn das Gesicht des Nachrichtensprechers störte. Er wollte nicht wissen, was in der Welt passiert war. Unterhaltung war wichtiger, die brachte ihn nämlich auf, andere Gedanken.
Seymour ging die einzelnen Programme durch und hatte schließlich eine Sendung gefunden, die ihm gefiel. Obwohl es sich dabei um einen Schwarzweißfilm handelte, ließ er ihn laufen, denn es war ein Krimi, und er sah den Killer durch ein Treppenhaus gehen. Das Licht fiel dabei auf eine bestimmte Tür, das Ziel des Mörders.
Gordon legte sich zurück. Sein Hinterkopf fand auf der Nackenrolle Platz. Die Luft saugte er durch die Nasenlöcher ein. Der Killer holte eine Lampe hervor und leuchtete das Ziel an. Der helle Kreis fiel auf das Schlüsselloch der Tür.
Der Killer durchquerte den kleinen Flur. Er trat vorsichtig auf, niemand sollte ihn hören. Als er seine Schritte vor der Tür stoppte, holte er keine Waffe aus der Tasche, sondern einen krummen Gegenstand aus Metall. Er hatte Ähnlichkeit mit einem Dietrich.
Den schob er in das Schloß. Seymour wußte genau, was kam. Der Killer würde einige Zeit herumbohren, damit die Spannung für den Zuschauer stieg. Wenn sich die Tür
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