0461 - Der Druide und die Echse
sich nichts unternehmen. Ein Dementi war immer eine Form des Geständnisses.
Tendyke lehnte sich zurück. So wenig, wie es ihm paßte, sich nun schon tagelang nur noch um Firmenbelange kümmern zu müssen, sah er wie ein Schreibtischtäter aus. In seiner Lederkleidung paßte er eher in einen Wildwest-Film als hinter den Schreibtisch, an dem er saß. Der dunkelhaarige Mann lehnte sich zurück und schloß die Augen. Wann war er zuletzt wirklich ›draußen‹ gewesen, in der Wildnis, fernab jeder Zivilisation? Früher hatte er sich oft an Expeditionen beteiligt, in Dschungel-Tiefen, fernab der Zivilisation. Er hatte vorwirgend Archäologen begleitet und Schutzfunktion ausgeübt. Er war der geeignete Aufpasser; er hatte gelernt wie kein anderer, zu überleben. Und - er konnte Gespenster sehen.
So, wie andere Menschen Autos und Flugzeuge und Kochtöpfe sahen.
Die Sprechanlage riß ihn aus seinen Gedanken. »Besuch für Sie, Sir. Miß Peters.«
Überrascht beugte er sich vor. »Sofort herein mit ihr!« stieß er hervor.
Da wurde die Tür schon aufgestoßen. Ein blondes Mädchen im kurzen, luftigen Kleid wirbelte herein. Tendyke sprang hinter seinem Schreibtisch auf, kam um das gezimmerte und polierte Nutzholz herum und schloß das Mädchen in die Arme. »Uschi - du hier? Was treibt dich nach El Paso?«
Uschi Peters schob ihn zurück. »Kannst du dir das nicht denken, Rob?«
Sein »Nein!« konnte nicht knapper abgefaßt werden. »Bitte, Uschi, nimm Platz! Was darf ich dir servieren lassen? Kaffee? Tee? Einen Saft? Wein?«
»Sag mal«, blitzte die blonde Deutsche ihn an, die Mutter seines Sohnes war, »bist du wirklich so ahnungslos, oder tust du nur so?«
»Setz dich endlich und verrate mir bitte, wovon du redest!« Er berührte eine Sensortaste des Sprechgerätes. »Einen Kaffee, ein Glas Wein und danach bis auf weiteres keine Störung«, ordnete er an. »Uschi, was ist passiert? Warum bist du nicht in Florida? Hast du Monica mitgebracht?«
»Die hütet das Haus, aber ich konnte und wollte da nicht allein versauern, nachdem du es nicht einmal für nötig hältst, zwischendurch mal anzurufen… nimmt die Firma dich tatsächlich so in Beschlag?«
Er nickte stumm. »Mehr Probleme, als ich befürchtet hatte. Probleme in den eigenen Reihen.«
»Dann zieh doch den Firmensitz zurück nach Miami!«
»Das möchte ich gern, aber das ist nicht so einfach zu bewerkstelligen. Was Riker in einem Vierteljahr getan hat, kann ich nicht in einer Viertelwoche machen. Außerdem ist der Standort El Paso objektiv günstiger. Da läßt sich jetzt nicht mehr viel machen. Aber das ist es doch nicht, was dich hertreibt! Es geht doch nicht nur darum, daß wir uns derzeit kaum sehen können und kaum miteinander sprechen! Also, bitte…«
Der Kaffee für ihn und der Wein für Uschi kamen. Dann war die Bürotür wieder schalldicht geschlossen. Uschi nippte am Weinglas.
»Julian«, sagte sie.
Tendyke schluckte. »Was ist mit ihm?«
»Weißt du wirklich nicht, daß er nicht mehr aufzufinden ist? Funktionieren deine Informationsdienste wirklich neuerdings so schlecht?«
»Ich weiß nur, daß er nicht mehr auf dem Höllenthron sitzt«, sagte Tendyke leise. »Aber das ist auch schon alles.«
»Wo ist er, Rob? Wo ist unser Sohn?«
Tendyke atmete tief durch. »Himmel, Uschi, ich weiß es nicht! Aber ich kann dir versichern, daß er keinesfalls tot ist, denn das hätte ich erfahren! Meiner Information nach hat er einen Abschiedsbrief hinterlegt, aus dem hervorgeht, daß er sich zurückzieht und niemand nach ihm suchen soll, weil man ihn ohnehin nur findet, wenn er gefunden werden will. - Woher weißt du überhaupt davon? Von Zamorra?«
Uschi Peters schüttelte den Kopf.
»Vergiß nicht, daß ich manche Dinge einfach fühle«, sagte sie. »Vor allem, wenn es um meinen Sohn geht. Er ist fort. Verschwunden. Wohin?«
Tendyke nagte an seiner Unterlippe. Monica und Uschi Peters, die eineiigen Zwillinge aus Deutschland, waren ein Phänomen. Gemeinsam besaßen sie die Fähigkeit der Telepathie. Und Uschi hatte Robert Tendyke einen Sohn geboren. Julian Peters. Ein magisches Wesen, vor dem die Hölle bereits vor seiner Geburt gezittert hatte. Innerhalb nur eines Jahres war Julian vom Säugling zum Erwachsenen herangereift. Nicht nur körperlich, sondern auch geistig. Wissen hatte er in sich aufgesaugt wie ein trockener Schwamm das Wasser, und er mußte über gewaltige magische Kräfte verfügen. Plötzlich war er davongegangen, und hatte sich auf
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