0462 - Der Wissende
ließen, wenn sie seine Flucht aus der Zelle entdeckten.
Er stand auf und begann mit seinem nun schon gewohnten Rundgang, der sich lediglich von einer Ecke des Raumes zur anderen erstreckte. Dann sah er auf die Uhr, die sie ihm gelassen hatten.
In einer Stunde begann die Ruheperiode.
Bis dahin mußte er sich entscheiden.
Er versuchte, sich an den Takerer zu erinnern, der jetzt draußen auf dem Gang Wache hatte. Wenn er sich nicht irrte, hatte er schon einmal versucht, ihn suggestiv zu beeinflussen - und es war ihm gelungen.
Wenigstens zum Teil. Er hatte Trinkwasser Verlangt, und dabei intensiv den Befehl ausgeschickt, ihm Wein zu bringen.
Der Wärter hatte Wein gebracht, mit Wasser vermischt.
Immerhin!
Schekonu bereute es, seine mentalen Fähigkeiten nicht weiter ausgebildet zu haben, obwohl er nicht wissen konnte, ob das überhaupt möglich war.
Wahrscheinlich jedoch hätte ihn eine intensivere Übung in die Lage versetzt, in der augenblicklichen Situation zuversichtlicher zu sein.
Kurz vor Beginn der Ruheperiode beschloß er, eine Probe aufs Exempel zu machen.
Er betätigte das Rufsignal für den Wärter.
Nur Sekunden später wurde die Tür geöffnet.
„Sie wünschen, Schekonu?"
Die Takerer blieben höflich, das konnte der Wissende nicht leugnen. Sie wußten immer, was sich gehörte - wenigstens versuchten sie, diesen Anschein zu erwecken. Zu alt schon waren jene Gesetze, die Moritatoren und Takerer verbanden - oder auch trennten.
„Sehen Sie mir in die Augen, bitte, ich glaube, ich bekomme eine Entzündung."
Arglos sah der Wärter seinem Gefangenen in die Augen und versuchte, etwas festzustellen. Schekonu gab ihm lautlos und nur mit seinen Gedanken Befehl, eine leichte Rötung der Bindehaut festzustellen.
Er wartete.
Der Takerer trat einen Schritt zurück und betrachtete seinen Patienten aus größerer Entfernung.
„Ich bin kein Arzt", bekannte er. „Aber wenn ich mich nicht irre, ist da ein roter Fleck, links unten im rechten Auge. Soll ich die Mediziner verständigen?"
„Danke, das ist nicht nötig. Ich habe das öfter, und es hat wirklich nichts zu sagen. Sie haben die ganze Ruheperiode über Wache?"
„Ja - leider."
Schekonu lächelte nachsichtig.
„Nun, mir tut es auch leid, aber Sie wissen ja, daß ich nicht freiwillig bei Ihnen bin. Sie können also kaum mir die Schuld für den zusätzlichen Dienst geben."
„So war es auch nicht gemeint", sagte der Takerer hastig und ging zur Tür. „Ich sehe in einer Stunde noch einmal nach Ihnen."
„Das wäre mir sehr recht", erwiderte Schekonu, und er sprach die volle Wahrheit.
Er nutzte die ihm verbleibende Frist, seine persönlichen Habseligkeiten nach ihrer Wichtigkeit zu überprüfen. Viel konnte er nicht mitnehmen, aber auf alles wollte er auch nicht verzichten.
Die Rasierpaste, einen Spiegel, den kleinen Tonaufzeichner, einige Toilettenartikel - das war alles. Eine Waffe besaß er nicht.
Dann setzte er sich auf sein Bett und wartete.
*
Kommandant Farenda warf einen letzten Blick auf den Panoramaschirm.
Morgen früh, wenn der Startknopf gedrückt wurde, sah er die blauflammende Riesensonne das letzte Mal. Dann konnte er nur hoffen, daß die Terraner nicht die gleiche Geduld aufgebracht hatten wie er Er übergab seinem Stellvertreter das Kommando und verließ die Kommandozentrale. Einen Augenblick lang überlegte er, ob er seinem Gefangenen noch einen kurzen Besuch abstatten sollte, aber dann verwarf er den Gedanken wieder.
Wozu, morgen war ja auch noch Zeit ...
In seiner Kabine löste er durch einen Knopfdruck das von ihm selbst programmierte und gespeicherte Videogerät aus. Musik ertönte, eine für menschliche Ohren seltsame und unmelodische Musik, die ihm jedoch Freude zu bereiten schien. Er duschte, und als er in die Kabine zurückkehrte, begann gerade der Film.
Er warf sich aufs Bett und sah interessiert zu.
Gerade an der spannendsten Stelle schrillte der Alarm durchs Schiff.
*
Der Wärter wußte selbst nicht, warum er die angekündigte eine Stunde nicht einhielt. Er wartete, bis es ruhig im Schiff geworden war. Die Mannschaften saßen entweder in der Kantine, oder sie hatten sich in die Quartiere zurückgezogen. Die leitenden Offiziere hielten sich in der Messe oder in ihren Kabinen auf.
Ruheperiode.
Nacht!
Er spazierte den Korridor auf und ab, bis er auch dafür zu müde wurde. Gelangweilt lehnte er sich gegen die Wand und schloß die Augen.
Augen!
Ihm fiel sein Versprechen wieder ein, nach
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