0463 - Der Leopardenmann
gegangen. Und das ist erst ein paar Stunden her«, sagte Shackleton. »Wenn's von gestern Abend wäre, hätte das Gras sich im Morgentau längst wieder aufgerichtet.«
Sie starrte ihn finster an. »Sie zweifeln wirklich an meinen Angaben?«
Er zuckte nur mit den Schultern. Er war ein Gentleman. Und ein Gentleman sagt einer Lady niemals, daß sie verrückt ist.
Wütend stapfte Tiffany durch das Gras bis dorthin, wo sie in der Nacht gewesen war. »Hier!« fauchte sie ihren Assistenten an. »Hier ist alles niedergetreten - hier habe ich danach gesucht, ob diese schwarze Spur irgendwo weiter geht! Aber da war einfach nichts! Er muß einfach aus dem Nichts gekommen sein.«
Shackleton sah nach oben.
Über ihnen breitete ein prachtvoller Baum seine breiten Äste aus. Und ab hier standen die Bäume auch dicht genug beieinander. »Wissen Sie, was Sie gesehen haben, Tif?« platzte es aus Shackleton heraus. »Einen Affen! Bis hierher hat er sich von Ast zu Ast geschwungen, und erst hier, direkt über uns, ist er dann auf die Idee gekommen, sich am Boden weiter zu bewegen. Auf dem befestigten Weg ist er dann an Ihnen vorbeigewatschelt…«
»Ich kann doch wohl noch einen Affen von einem Leoparden unterscheiden!« schrie sie ihn wütend an, schob ihn unsanft beiseite und ging den Weg zurück, den sie gekommen war. »Männer«, murmelte sie zornig. »Ich weiß doch, was ich gesehen habe! Ein Affe war das jedenfalls nicht! Das hätte schon ein Gorilla sein müssen, und die gibt's hier unten nicht, die finden sich erst hundert Meilen und mehr weiter nördlich!«
»Und Leoparden gibt's hier erst recht keine mehr, weil Motumo Sassa den letzten vor ein paar Jahren erschossen hat!« rief Shackleton ihr nach, was auch er in Erfahrung gebracht hatte.
Tiffany ging zu Sassas heruntergekommener Hütte. Sie wollte sie bei Tageslicht sehen. Diesmal hätte sie den schmalen Pfad um ein Haar verfehlt.
Jemand hatte ein rotweißes Absperrband weiträumig um die Hütte gezogen und dabei Bäume als natürliche Pfosten verwendet. Im kleinen Pferch meckerten die Ziegen. Sie wollten gemolken werden. Aber von wem? Sassa war tot.
Der tote Hund lag auch noch vor dem Haus. Niemand hatte es für nötig gehalten, ihn beiseitezuschaffen oder einzugraben. Ein dichter Schwarm großer, blauschillernder Fliegen umschwirrte den Kadaver. Ein paar Dutzend von den Biestern versuchten auch Tiffany zu belästigen. Aber der Abwehrspray auf ihrer Haut, ohne den sie in tropischen Regionen niemals außer Haus ging, ließ die Fliegen kurz vorher wieder abdrehen. Unangenehm war ihre Nähe trotzdem.
Tiffany kletterte über das Absperrband und umrundete das Haus. Sie suchte nach Spuren, fand aber keine. Wenn es sie gegeben hatte, so waren sie von Leutnant Al Takhys Männern längst zertrampelt worden. Es kostete Tiffany Überwindung, in die Hütte hineinzugehen. Überall sah sie getrocknetes Blut, ebenfalls von Fliegen bevölkert. Abermals kämpfte sie gegen den Brechreiz an und gewann den Kampf diesmal.
Es stank in der Hütte.
Aber nicht nur nach eingetrocknetem Blut. Da war noch etwas anderes. Sie hatte es auch gestern abend wahrgenommen; jetzt erinnerte sie sich wieder daran. Aber was war das für ein Geruch gewesen? Woher kannte sie ihn?
Raubtierkäfig…?
Rochen Leoparden so?
Plötzlich sah sie etwas auf dem Boden, bückte sich und hob es auf. Ein Haarbüschel. Hell und hart waren die Haare. Hatte Sassa sie im Todeskampf dem Leoparden ausgerissen?
Als sie sich umwandte, stand Shackleton in der Tür. Sie hielt ihm das Haarbüschel entgegen. »Hier, Shack! Leopardenhaare! Oder wollen Sie mir erzählen, Motumo Sassa, der Bantu war, habe so helles, glattes Haar besessen?« Wortlos deutete Shackleton auf einen Punkt hinter ihr. Sie drehte sich um und sah zwei große Leopardenfelle an der Wand hängen, Jagdtrophäen des toten Großwildjägers. »Von dem stammen Ihre Leopardenhaare, Tif…«
Sie wußte selbst nicht, warum sie dieses Haarbüschel einsteckte. Aber sie wußte, warum sie dann einen Eimer schnappte und zum Pferch hinüber ging.
»Was haben Sie vor, Tif?«
»Die Ziegen melken! Verdammt, jemand muß sich doch um die Tiere kümmern, oder sollen sie krepieren, weil ihnen die Euter platzen? Sie können sich derweil nützlich machen und den Hundekadaver vergraben…«
Aber davon fühlte sich Shackleton überfordert. Er verabscheute Fliegen…
***
Leutnant Al Takhy war kein Gentleman. Er nannte Tiffany verrückt, als sie ihm das Haarbüschel
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