0465 - Heute Engel - morgen Hexe
gehen.«
»Jetzt sind Sie da. Wollen wir in meiner Wohnung weitersprechen?«
Er hob die Hand. »Nicht unbedingt. Was ich Ihnen zu sagen habe, ist nur wenig.«
»Dann bitte.«
Er schaute wie ein Sünder zur Seite und sagte: »Ich bin bei ihr geblieben.«
»Das habe ich mir gedacht. Passierte etwas?«
»Ja.«
»Und was?«
Er ging einen halben Schritt zurück und hielt sich die Hand vor den Mund. Dann lachte er kichernd. »Es ist das eingetreten, was ich mir oft gewünscht habe.«
»Sie haben mit Gitty Oldman geschlafen.«
»Genau.«
»Sind Sie gekommen, um mir das zu sagen?«
Er nickte. »Unter anderem. Aber Gitty hat mir auch erzählt, dass Sie gefährlich sind, Mr. Sinclair.«
Nach dieser Bemerkung wurde ich noch misstrauischer. Dieser Besuch mitten in der Nacht war schon ungewöhnlich genug. Nun rückte er endlich mit der Sprache heraus.
»Für Sie auch, Mr. Stockman?«
»Ich weiß es nicht, Sir. Als Gitty mich fragte, ob ich alles für sie tun würde, habe ich zugestimmt.«
»Sie scheinen verliebt zu sein.«
»Mehr als das, Mr. Sinclair. Ich bin ihr hörig.«
Ich nickte. »Sie sind ehrlich. Was also wollen Sie von mir?«
»Ich will Sie um etwas bitten, Mr. Sinclair. Lassen Sie Gitty in Ruhe. Sie hat es verdient. Sie ist nicht so, wie Sie denken. Ich möchte Sie bitten, dass Sie alles vergessen. Verstehen Sie?«
»Ja, das habe ich.«
»Dann kann ich mich auf Sie verlassen?«
Ich hob den Arm. »Moment, Sie müssen zugeben, dass Sie sich in eine mehr als ungewöhnliche Person verliebt haben. Oder nicht?«
»Ja, das weiß ich.«
»In eine Hexe.«
Als er die Antwort hörte, fing er an zu grinsen und schüttelte den Kopf.
»Hexe ist gut«, flüsterte er. »Hexe ist sogar sehr gut. Vielleicht mag ich Hexen.«
»Seit wann?«
»Sie hätten mit ihr schlafen müssen, Mr. Sinclair. Dann hätten Sie sie auch gemocht.«
»Das glaube ich kaum. Sonst noch etwas?«
»Nein…«
Er hatte das Wort gedehnt gesprochen. Ich konnte ihm nicht so recht glauben. Dieser Besuch musste noch einen anderen Grund haben. Er starrte mich noch eine Weile an, ohne ein Wort zu sagen. Schließlich hob er die Schultern und drehte sich um.
Ich hielt ihn nicht auf. Er ging auf eine der Lifttüren zu und wollte wieder nach unten fahren.
Jetzt aber war ich hellwach. So einfach war es doch nicht. Vor allen Dingen wollte ich ihn nicht so mir nichts dir nichts laufenlassen. Als sich die Tür öffnete, stand ich bei ihm.
»Warten Sie noch, Mr. Stockman.«
»Nein.« Er betrat den Lift. Die Neonlampe flackerte. Auch hier musste jemand an der Beleuchtung manipuliert haben.
Ich sah nicht ein, dass mir der Knabe so einfach entwischte, und fasste nach seiner Schulter. Mit einer Drehbewegung riss er sich los und ging weiter bis zur Wand.
Ich ließ mich nicht abschütteln. Bevor sich der Lift in Bewegung setzte, hatte ich die Kabine ebenfalls betreten. Hinter mir schloss sich die Tür.
Ein Blick auf die Anzeigetafel bewies mir, dass wir in die Tiefgarage fahren würden.
Rick lehnte mit dem Rücken an der Wand. Sein Gesicht war blass. Er sah aus, als würde er unter Druck stehen. »Fahren Sie wieder hoch, Mr. Sinclair«, flüsterte er. »Es ist besser für Sie. Verschwinden Sie…«
»Nein, Sie haben mich neugierig gemacht.«
»Wieso?« Ich ging auf ihn zu. »Ich glaube, wir müssen noch einiges miteinander bereden.«
»Ich will nicht.«
»Tut mir leid. Dann hätten Sie eben wegbleiben müssen. Wer mich zu dieser Stunde besucht, muss damit rechnen, dass ich ihm die entsprechenden Fragen stelle. Meinetwegen können wir auf und ab fahren, aber Sie werden reden, Mr. Stockman.«
Seine Augen weiteten sich. Er blickte mir starr ins Gesicht. Ich ahnte, dass in den nächsten Sekunden etwas passieren würde, trotzdem wurde ich überrascht.
Urplötzlich öffnete Rick Stockman den Mund. Ich sah die beiden langen Zähne in seinem Oberkiefer.
Das Zeichen des Blutsaugers!
Der Lift stoppte, und Stockman griff an!
***
Ich hätte die Attacke leicht abwehren können, aber irgendwie hatte ich geschlafen. Vielleicht war ich auch zu überrascht gewesen, zudem dachte ich darüber nach, wie es möglich war, dass der Hausmeister plötzlich als Vampir vor mir stand.
Mit beiden Fäusten hatte er mich treffen wollen. Das geschah auch, nur erwischte er nicht meinen Körper, sondern die hochgerissenen Arme, die ich als Schutz vor mein Gesicht hielt.
Der Treffer warf mich zurück. Ich stieß mit dem Rücken gegen die Lifttür und drückte sie auf. Es
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