0465 - Heute Engel - morgen Hexe
fliegen?«
»Heute noch.« Als er uns die Startzeit sagte, war uns klar, dass wir uns beeilen mussten.
Suko schüttelte den Kopf. »Uns bleibt auch nichts erspart. Die Hebriden um diese Jahreszeit. Nein, danke, ich kann mir etwas Schöneres vorstellen.«
»Willst du in London bleiben?«
»Nein, Alter, mich wirst du so rasch nicht los.«
***
Bis Glasgow hatte alles vorzüglich geklappt. Nur mit dem Weiterflug nach Portree, der größten Stadt auf der Insel Quirang, gab es Schwierigkeiten. Die Maschine flog erst am anderen Tag.
Wir hätten unter Umständen ein Boot mieten können, aber Zeit hätten wir damit auch nicht herausgeschunden. So waren wir gezwungen, die Nacht in Glasgow zu verbringen.
In London war es ziemlich warm gewesen. Hier oben hatte sich bereits der Winter angemeldet. Erster Schnee war gefallen, aber rasch wieder weggetaut.
Jetzt war es nur noch windig, und Nebel kam auf, was auch den Wirt des kleinen Hotels ärgerte, in dem wir die Nacht verbringen wollten. Wir saßen in der Gaststube im weichen Licht der alten Laternenlampen, hatten hervorragenden Lachs gegessen und hörten dem bärtigen Wirt zu, der über den Nebel schimpfte.
»Nebel gibt's doch hier häufiger, oder?« fragte Suko.
»Das schon.« Der Wirt nahm bei uns Platz und stellte eine Flasche Selbstgebrannten auf den Tisch, »aber in den letzten Tagen war er doch sehr dicht. Besonders auf dem Wasser.«
»Gibt es dafür einen Grund?«
Der Wirt hob die Schultern. »Einige sagen ja, es wäre das Erdbeben oder Seebeben gewesen.«
Jetzt wurde ich aufmerksam. »Hier hat es ein Seebeben gegeben?«
Der Mann schenkte die drei Gläser voll, schaute durch die leicht gelbliche Flüssigkeit und nickte. »Ja, und man spricht sogar davon, dass die Nebelinsel wieder hochgekommen ist.«
»Ach.«
Er grinste. »Cheerio. Trinken wir mal einen.«
Mit Todesverachtung schütteten wir uns das Zeug in die Kehle. Selbst Suko machte mit. Der Schnaps schmeckte nach Lakritz und war ein richtiger Rachenputzer.
»Wie war das denn mit der Nebelinsel?« fragte ich, als ich das Glas wieder abstellte.
»Das ist eigentlich eine Legende.«
»So etwas interessiert uns.«
»Wissen Sie, ich komme selbst von den Inseln. Hier in Glasgow lebe ich eigentlich nur wegen meiner Frau. Sie ist in dieser Stadt geboren. Das Hotel haben wir geerbt. Wer von den Hebriden kommt, der kennt auch die alten Geschichten, und die Nebelinsel gehört dazu. Sie ist vor Hunderten von Jahren schon einmal da gewesen, wurde aber vom Meer verschlungen. Angeblich soll sie von Hexen bewohnt gewesen sein, die Seefahrer in die Falle lockten. Sie konnten ihrem Gesang nicht widerstehen, da erging es ihnen wie diesem griechischen Seefahrer aus dem Altertum. Sie wissen ja, wen ich meine.«
»Ja, Odysseus.«
»Genau, aber der war schlauer.«
»Und die Seefahrer nicht?« fragte ich.
»Man erzählt sich, dass die Weiber sie auf die Insel gelockt und dort grausam geopfert haben. Sie hatten eine Königin, die sie Königin der Nebelinsel nannten.«
»Wie lautete denn deren Name?«
»Layana.«
Ich blickte Suko an. Langsam wurde die Spur heiß.
Der Wirt hatte natürlich etwas bemerkt. »Habe ich was Falsches gesagt?«
Ich schlug ihm auf die Schulter. »Nein, Sie haben uns sogar sehr dabei geholfen.«
»Wobei?«
Ich wiegelte ab und wechselte auch das Thema. »Gibt es noch weitere Dinge über die Insel zu berichten?«
»Man sagt, dass es sich um keinen normalen Nebel handelt. Der soll aus der Erde gekommen sein, mehr weiß ich eigentlich auch nicht.« Der Wirt legte seine Hand um die Flasche. »Noch einen kleinen Schluck?«
Wir wehrten beide ab. Um die Enttäuschung des Mannes etwas zu mildern, bestellte ich ein Bier. Suko hielt sich an Mineralwasser.
Die Wirtin brachte uns die Getränke. Sie bediente auch die anderen Gäste, alles Einheimische, die ihr abendliches Bierchen und ihren Whisky tranken.
»Und jetzt ist die Nebelinsel wieder aufgetaucht?« fragte Suko.
»Das weiß ich nicht, Mister. Aber man spricht davon.«
»Wer?«
»Fischer, die draußen waren. Sie haben an einer bestimmten Stelle des Meeres eine richtige Nebelbank gesehen. Dicht wie Watte und undurchdringlich wie eine Mauer.«
»Übertreiben die Leute vielleicht?«
»Sicher. Aber wer saugt sich so etwas schon aus den Fingern? Ein Körnchen Wahrheit ist da schon bei.«
Ich wischte mir den Schaum von den Lippen und übernahm wieder das Wort. »Wie weit ist diese geheimnisvolle Nebelinsel denn von Quirang
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