0472 - Sie war nur ein 5-Dollar-Girl
Ausnahmen, vorbestrafte Männer, die von Rice durch überdurchschnittliche Honorierung, aber auch durch Drohungen und Erpressungen bei der Stange gehalten wurden.
Es war nicht sonderlich schwierig, die meisten dieser Leute zu einem Geständnis zu bewegen. Insbesondere die Chemiker fielen bald um. Einer machte den Anfang, und die restlichen folgten wie eine Lawine.
Später wurden wir oft gefragt, wie es möglich gewesen sei, daß rund einhundertachtzig biedere, unbescholtene Arbeiter und Angestellte wegen der aufwendigen, unangemessen großen Forschungsabteilung keinen Verdacht geschöpft hatten.
Tatsächlich hätte sy:h jedermann fragen müssen, was eine simple Bonbon-kocherei mit einem Entwicklungslabor dieses Umfanges anfangen wollte. Die Erklärung war, daß die Firmenleitung, das heißt Rice und seine Leute, es verstanden hatten, den Leuten vorzuerzählen, daß ejne Firmenerweiterung bevorstünde und daß das Labor Produkte entwickelte, um das Warenangebot zu erweitern.
Das Rauschgiftdezernat hatte alle Hände voll zu tun, um mit der anfallenden Kleinarbeit fertig zu werden. Für Phil und mich wurde in diesen Tagen das Wörtchen Schlaf klein geschrieben. Aber das waren wir ja gewohnt. Zum Glück fanden wir im Tresor des Labors eine komplette Liste mit den Namen der Vertriebsleute, so daß die Sardonin-Organisation praktisch von einem Tag zum anderen zu existieren aufhörte.
Das gesamte Lager und der Maschinenpark wurden beschlagnahmt. Rice und Faber wurden ebenso verhaftet wie die übrigen Gangster, die zu dem reibungslosen Funktionieren der Organisation entscheidend beigetragen .hatten.
Nur einer befand sich noch auf freiem Fuß, und das war der Killer der Gang.
John E. Barclay war untergetaucht.
Sein Foto würde in allen Zeitungen gebracht, und wir bekamen eine Menge Hinweise von Leuten, die sich die ausgesetzte Belohnung verdienen wollten, aber alle Tips erwiesen sich als falsch.
Barclay hatte am Abend seiner Flucht den Pontiac in der 96. Straße stehenlassen. Der Wagen wurde noch in der gleichen Nacht gefunden.
Unweit von der Fundstelle hielt ein Kinobesucher nur wenig später vergeblich nach seinem Ford Ausschau. Der Verdacht lag nahe, daß Barclay in diesen Wagen umgestiegen und mit ihm verschwunden war.
Wir hatten zwar die Nummer des Ford, aber die Chancen, ihn zu finden, waren gering. In New York gibt es Zehntausende von Fahrzeugen dieser Mai'ke und dieses Baujahres. Wir konnten ja nicht von den tüchtigen Mitgliedern der City Police erwarten, daß sie unablässig Nummernschilder kontrollierten.
Trotz der Panne, die es mit Barclays Flucht gegeben hatte, feierte uns die Presse überschwenglich.
Auch Mr. High hielt mit seinem Lob nicht zurück. Es war uns gelungen, eine der raffiniertesten Rauschgiftbanden unschädlich zu machen.
Aber wir waren nicht zufrieden. Und wir hatten auch nicht vor, es zu sein, solange sich der Killer John Edward Barclay noch auf freiem Fuß befand.
***
Ihr Name war Fay Southend, und sie kaufte Makkaroni. Über die Moral hatte sie sich noch nie viel Gedanken gemacht. Jetzt grübelte sie über Lo Cockers’ Ende nach.
Sie hatte Lo gekannt, denn sie war eine Kollegin von ihr gewesen. Fay Southend kannte nicht nur das tote Fünf-Dollar-Girl, sondern auch Barclay, den Killer, den sie alle suchten.
Sie kannte ihn so gut, daß sie jetzt Makkaroni für ihn kaufte, und gerade das gab ihr zu denken. Sie wußte, wie Lo Cockers gestorben war, und sie wollte nicht das gleiche Ende finden. Aber sie kannte auch das Gesetz und die Rache der Unterwelt. Ihnen würde sie bestimmt zum Opfer fallen, wenn sie einfach zur Polizei gehen und den Killer verraten würde. Trotzdem mußte und wollte sie handeln. So wie eine Frau nun einmal handelt…
Fay Southend ging auf die nächste Telefonzelle zu, warf einen Nickel in den Schlitz und wählte die Nummer des FBI.
»Bitte, Mr. Jerry Cotton«, sagte sie mit rauchiger Stimme.
Es knackte in der Leitung, und dann kam ein lautes: »Hier ist Jerry Cotton.«
»Mein Name ist Southend«, sagte das Mädchen schnell. »Ich wohne in der 32. Street, Haus Nummer 463, 3. Stock. Ich war mit Lo Cockers befreundet…« Mehr sagte sie nicht, wartete auch gar nicht erst eine Antwort ab, sondern legte sofort auf. Dann ging sie auf dem schnellsten Wege zu ihrer nahegelegenen Wohnung.
***
Barclay lag auf der Couch und starrte den arabesken Rauchschwaden nach, die sich über ihm kräuselten und dann, langsam zerfließend, in den dichten Rauchvorhang
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