0473 - Botin des Unheils
Spinner abgestempelt wurde, sondern auch die wenigen Realisten, die andeuteten, Kollege Einstein könne vielleicht nicht alles erfaßt haben. Die Wissenschaft irrte sich nie, weil sie sich gefälligst nie zu irren hatte, und wenn das doch einmal der Fall war und eine Meinung zähneknirschend und widerwillig korrigiert werden mußte, dann fanden findige Köpfe sicher eine Ausrede - ganz gleich, wie dünn das Haar war, an dem sie sie herbeizogen.
»Phantasie ist wichtiger als Wissen«, hatte ausgerechnet der schon fast als göttergleiche Guru verehrte Albert Einstein einmal gesagt, bloß erinnerten sich Wissenschaftler an diesen Ausspruch nur, wenn man sie dazu unter Strafandrohung zwang - zumindest hatte Zamorra sehr häufig diesen Eindruck. Aber vielleicht würde sich das alles eines Tages ja doch noch einmal zum Positiven verändern.
Zu diesem Zeitpunkt ahnte er noch nicht, was er gerade in bezug auf Transfunk schon in naher Zukunft -im wahrsten Sinne des Wortes - an Überraschungen erleben würde…
Aber jetzt hatte er Fenrirs Spur zu folgen.
Querfeldein.
Den Berghang hinauf, durch einen Waldstreifen, über Felder… über Zäune und Hecken…
Stunde um Stunde.
Wo der Wolf locker auf vier Pfoten rannte, war Zamorra es dank hochtechnisierter Fortbewegung einfach nicht mehr gewohnt, lange Strecken zu Fuß zurückzulegen. Aber er wußte, daß er es schaffen würde, weil er es wollte. Immerhin war er ausdauernd, und so schnell hängte Fenrir ihn nicht ab. Der Wolf mochte anfangs schneller sein, aber Zamorra war beharrlicher. Dreimal versuchte Fenrir ihn auszutricksen und legte falsche Spuren, die ihn Zeit und Vorsprung kosteten. Zamorra kannte Fenrir sehr gut; er konnte sich in seine wölfische Art hineindenken und durchschaute die Tricks schnell. So konnte er die Distanz relativ konstant halten.
Er folgte Fenrir etwa fünf Stunden lang. Dann befand er sich in einem Waldgebiet und vor ihm öffnete sich plötzlich eine kleine Lichtung.
Auf der Lichtung stand eine einfache Blockhütte.
Zamorra blieb am Rand der Lichtung stehen und lehnte sich an den dünneren, im unteren Bereich nahezu astfreien Stamm einer Fichte. Er sah zu der Hütte hinüber und überlegte. Er besaß zwar keinen Schrittzähler, der ihm bei dieser Aktion wahrscheinlich auch nicht viel genutzt hätte, aber er nahm an, daß er in diesen fünf Stunden erst fünfzehn Kilometer zurückgelegt hatte. Nicht gerade viel - auf befestigten Wegen hätte er gut und gern ein Dutzend Kilometer mehr geschafft. Aber für das schwierige Gelände, in dem er sich während seiner Verfolgungsjagd hat bewegen müssen, war das kein schlechtes Ergebnis.
Etwa fünfzehn Kilometer…
Das gehörte auf jeden Fall noch zu Enrique Landemons Forstbezirk!
Zamorras Verdacht wurde immer dichter…
***
Montrottier, 1991:
Die Großstadtwohnung war ihr gekündigt worden. Ganze sechs Jahre hatte sie es darin ausgehalten. In einer selbstgewählten Einsamkeit, in einer Art Isolierhaft. Unterbewußt hatte sie immer gewußt, daß sie hier nicht bis an ihr Lebensende bleiben würde, obgleich gerade diese Wohnung für sie und ihre ganz besonderen Lebensumstände optimal zu sein schien. Doch der Wohnungseigentümer machte Eigenbedarf geltend, und Naomi schaffte es zwar, die Räumung ein halbes Jahr über den Kündigungstermin hinaus zu verzögern, doch schlußendlich mußte sie gehen. Vielleicht hätte sie sich gerichtlich dagegen wehren können; immerhin hatte sie immer pünktlich ihre Miete bezahlt und dem Vermieter nie Schwierigkeiten bereitet. Aber dann hätte sie sich unter Menschen begeben müssen - und sie fürchtete, selbst einem Anwalt Unglück zu bringen, so wie sie damals jenem Privatdetektiv Unglück gebracht hatte.
Indem sie Inserate studierte und Briefe schrieb oder telefonierte - seltsamerweise schien diese Art der Kontaktaufnahme dem jeweiligen Kontaktpartner keine Schwierigkeiten zu bringen -, fand sie schließlich eine kleine Dachwohnung in Montrottier. Die Wohnung war nicht groß, aber gemütlich, und dafür, daß der kleine Ort noch im Einzugsbereich von Lyon lag, war sie erstaunlich preiswert. Dennoch behagte sie Naomi Varese nicht. Die Vermieterin zeigte sich recht aufdringlich. Unter anderen Umständen wäre Naomi vielleicht sogar sehr froh darüber gewesen, als Fremde sofort Kontakt in einem ihr unbekannten, neuen Ort zu bekommen, und ihr war klar, daß die Vermieterin es eigentlich nur gut meinte. Aber das war nicht in Naomis Sinn. Sie wußte, daß die
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