0474 - Der Hexenstein
Bewohner haben es im Winter verlassen, aber die Bibel ließen sie zurück. Sie schlossen sie ein.«
»Wenn ich sie habe, komme ich zurück?«
»Ja, dann wirst du reden.«
Der Zombie spürte den Wind, der aus der Höhe kam und gegen seinen Körper wuchtete. Schnee wurde in die Höhe geweht und wie eine lange Fahne über das Wasser getragen.
»Hast du alles verstanden?«
»Das habe ich. Aber ich möchte dich gern sehen. Ich habe dich gehört, ich weiß, daß wir zusammengehören. Kannst du dich nicht zeigen, Hexe?«
»Ja, das versuche ich. Konzentriere dich und schau dabei auf den Stein. Sieh genau hin, blicke nur ihn an, denn er allein ist wichtig. Da ich durch dich Unterstützung gefunden habe und das Böse sich hier konzentriert, könnte es mir gelingen.«
»Ich warte…«
Thomas starrte nur den Stein an. Er nahm sein gesamtes Blickfeld ein. Noch blieb er normal. Er sah nur das glatt wirkende Wasser, das über ihn hinwegfloß, manchmal direkt sprang und hinter dem Stein zu einem schäumenden Wirbel wurde.
Aber die Hexe hatte nicht gelogen. Innerhalb des Steingefüges tat sich etwas.
Die Umrisse blieben, der Stein veränderte sich nicht. Er wurde weder größer noch kleiner. Aber aus der Tiefe stieg etwas hervor. Zuerst war es nicht zu erkennen, weil es aussah wie ein Gebilde aus Spinnweben.
Dann wurde es deutlicher.
Zwei Augen, eine Stirn, Haare - ein Gesicht. Uralt, unheimlich, verbraucht aussehend. Eingefallene Wangen, eine klumpige, dennoch spitz wirkende Nase und darunter ein verkrümmter Mund.
Die Hexe!
Sie zeigte sich jedoch nur in Umrissen, als hätte jemand mit einem Stahlnagel das Gesicht in den Stein geritzt.
»Du siehst mich?« hörte Thomas ihre Frage.
»Ja.«
»Ich habe nicht gelogen. Ich bin da…«
»Aber du kannst den Stein nicht verlassen - oder?«
»Nein, ich werde erst wie du, wenn es dir gelingt, die Bibel zu holen und daraus vorzulesen. Dann kannst du mich erkennen, dann wirst du mich ganz sehen, wenn ich aus dem Stein klettere und dich begleite. Ich werde an deiner Seite sein und…« Ihre Stimme wurde schwächer, auch die Umrisse blieben nicht mehr so klar. Es sah so aus, als würde das über den Stein huschende Wasser sie auslöschen.
Sekunden später zeigte er wieder seine normale breite Fläche, auf der die kleinen, von Wanderern geworfenen Steine lagen.
Der Zombie wußte Bescheid. Er war den Weg nicht umsonst hochgegangen, und das lange Warten im Tunnel hatte sich für ihn gelohnt. Er drehte sich um, stemmte sich gegen den Wind, der gedreht hatte und scharf in sein Gesicht schnitt, wovon er nichts merkte. Die Schlucht öffnete sich. Weit mehr als die Hälfte des Weges lag hinter dem Zombie. Der Rest war ein Kinderspiel.
Er wußte nun, daß die Hexe existierte, und war beruhigt. Doch ein anderes Problem gesellte sich hinzu. Die vier Spuren im Schnee, wo zwei Langläufer hergefahren waren.
Menschen - Beute…
Der Wind drang aus dem offenen Tal in die Schlucht hinein. Er wirbelte den Schnee vom Boden hoch und drehte ihn zu Spiralen, die gegen den wandernden Zombie wuchteten.
Ihm machte es nichts aus. Stur ging er seinen Weg, kämpfte sich, als er das Ende der Schlucht erreichte und das eigentliche Gasterntal betrat, auch durch den Tiefschnee, wobei er einmal bis zur Brust einsank und sich hektisch sowie mit unwillig klingenden Lauten befreite. Er wandte sich nach rechts und sah dort eine fast freie Fläche. Der Schnee war zur Seite geschaufelt worden. Man hatte einen Weg geschaffen, der zu einem Haus führte, das völlig eingeschneit war. An den Seiten türmten sich die Schneehaufen, auf dem Dach lag die dicke, schwere und weiße Pracht.
Das Haus hatte zwei Kamine. Und aus beiden stieg eine weißgraue Rauchfahne, manchmal vermischt mit kleinen, glühenden Holzteilen, die raketenartig in die klare Luft geschossen wurden.
Der Zombie blieb stehen. Er beugte sich nach vorn. Es sah so aus, als würde er fallen, aber er hielt sich auf den Beinen und schnüffelte wie ein Tier.
Er hatte etwas gerochen.
Menschen!
In seinem fratzenartigen Gesicht zuckten die dünnen Wangen, als er sich mit staksigen Schritten in Bewegung setzte…
***
Dieter Birner und Jeanette Masic, beide Schweizer, hatten sich auf der Uni in Zürich kennengelernt.
Sie studierten Ökologie und wollten Umweltforscher werden. Die gemeinsame Liebe zur Natur führte sie zusammen.
Birner stammte aus Adelboden. Dieser Ort, noch höher gelegen als Kandersteg und auch berühmt für seine Skimeisterschaften,
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