0474 - Der Hexenstein
lag in einem Nachbartal.
Als Einheimischer kannte Dieter selbstverständlich auch das Gasterntal, wußte um dessen Legende, aber auch um dessen Berühmtheit und Unberührtheit.
Vor einigen Jahren hatte man hier die Außenaufnahmen zur Neuverfilmung des Streifens »Via Mala« gedreht. Da war die Umwelt durch das Filmteam gestört worden, aber das lag so weit zurück, daß darüber kaum mehr gesprochen wurde.
Im Sommer kam jeder in das Gasterntal hinein, im Winter war es schwieriger. Nicht allein die Witterung trug daran die Schuld, es ergab sich auch ein anderes Problem.
Wo sollte man wohnen?
Zwar existierten einige Gasthöfe, nur wurden die beim Einbruch der kalten Jahreszeit verlassen und verriegelt.
Dieter Birner hatte Beziehungen. Deshalb erhielt er auch die Erlaubnis, für drei Wochen mit seiner Verlobten ins Gasterntal zu ziehen, und zwar dort, wo das Tal begann und die enge Felsschlucht aufhörte.
Der Wanderer betrat eine weite Hochebene, eingerahmt von schroffen Bergen, deren felsige Wände mehrere Wasserfälle ausspieen. Die Wassermassen sammelten sich in einem kleinen See, der den Gebirgsbach der Gasternschlucht speiste.
Vier Tage bewohnten die beiden jungen Leute jetzt eine Gaststätte, die den Namen »Waldhaus« trug.
Er bestand zurecht, denn das Haus war aus Holz gebaut, schon sehr alt, schief, dazu mit einem krummen Dach, aber im Innern sehr gemütlich und vor allen Dingen warm, denn der gewaltige Kachelofen gab eine solche Hitze ab, daß er das gesamte Haus erwärmte.
Dieter und Jeanette hatten sich zurückgezogen, um endlich mal allein sein zu können, allerdings wollten sie auch ökologische Studien betreiben, zudem bereitete sich Dieter auf seine Promotion vor.
An diesem Morgen waren sie länger in den alten Betten geblieben und hatten sich geliebt. Jeanette kuschelte sich noch wohlig in die Kissen, während Dieter bereits im Gastraum arbeitete.
»Jeanette?« schallte seine Stimme hoch.
»Ja.« Sie gab ihrer Stimme einen müden Klang.
»Willst du nicht aufstehen?«
»Nein.«
Sie hörte sein Stöhnen und lächelte spitzbübisch. »Komm, mach keinen Ärger. Du weißt, daß wir heute einiges vorhaben. Zudem kommt gegen Mittag der Wagen mit dem Nachschub von Kandersteg hoch. Also raus aus den Federn!«
Jeanette quängelte. »Hol mich doch.«
»Nein, es ist bereits zehn Uhr. Ich bin dabei, das Frühstück zu machen.«
»Was gibt es denn?«
»Das gleiche wie gestern. Müsli.«
»Auch Kaffee?«
»Aber nur, wenn du endlich aufstehst.«
»Erpresser!« rief sie zurück.
»Das ist deine Schuld, Liebling. Du hättest früher aus den Feder kriechen sollen.«
»Es ist so schön warm.«
»Hier unten auch.«
Jeanette merkte, daß sich ihr Verlobter nicht umstimmen ließ. Außerdem war es wirklich besser, wenn sie aufstand, da am Mittag der Nachschub anrollte.
Sie schwang die schlanken Beine aus dem Bett. Jeanette trug nichts als ihre blanke Haut. Sie war sehr schlank und hatte einen knabenhaften Körper.
Elektrisches Licht stand den beiden nicht zur Verfügung. Sie mußten, wenn es dunkel geworden war, auf Petroleumlampen zurückgreifen. Auf einer Kommode stand die Schüssel mit Wasser, Dieter hatte Schnee hereingeholt und tauen lassen, deshalb war es noch sehr kalt. Jeanette bekam eine Gänsehaut, als sie sich wusch und anschließend die Zähne putzte.
Sehr schnell stieg sie in ihre Kleidung. Auf einen BH verzichtete sie, dafür streifte sie ein Hemd über und schlüpfte anschließend in den dicken, gestreiften Norwegerpullover, dessen Saum die gleiche grüne Farbe hatte wie die Thermohose, die bei dieser Kälte mehr als nötig war. Das Haar kämmte sie nicht. Jeanette hatte Naturlocken. Sie hatten sie von ihrem jugoslawischen Vater geerbt.
Über die Holztreppe schritt sie nach unten. Die Holzschuhe klackten bei jedem Auftreten. Es war nicht zu überhören, daß jemand in den Gastraum kam, wo die beiden die Tische zusammengeschoben hatten und nur den größten für sich beanspruchten.
Dieter erwartete sie und sah ihr entgegen. »Na, ist es nicht warm?« fragte er.
»Schon fast zu warm.«
»Warte ab, die Temperaturen fallen. Außerdem müssen wir noch raus und uns die markierten Bäume ansehen.«
»Meinst du, daß sie stark unter der Kälte zu leiden haben?« fragte das Mädchen.
»Ja, aber sie widerstehen. Und ich will genau herausfinden, weshalb.«
»Du bist wieder von einem Arbeitseifer, der mich abschreckt.« Jeanette ließ sich am Tisch nieder, den ihr Verlobter bereits
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