0474 - Der Hexenstein
Haufenwolken gefallen und hatte das Leben erstickt.
Aber das schien nur so. In den Hotels und Gaststätten rüstete man sich für die Saison, die kurz vor Weihnachten begann. Da kamen die Touristen, die Langläufer und auch die Slalom-Artisten, für die der Schnee mehr war als nur gefrorenes Wasser.
Kandersteg war ausgebucht.
Dennoch konnte man es nicht mit den Rummelorten der Prominenz vergleichen, wo der Skizirkus alles andere hinwegschwemmte. Vor allen Dingen die winterliche Ruhe, die für viele Menschen wichtig war, denn Spaziergänge in der klaren Winterluft konnten eine wunderbare Erholung bieten.
Dafür war Kandersteg bekannt. Neben dem Wintersport fanden die Besucher noch Zeit, sich zu erholen und die Landschaft, an vielen Stellen noch unberührt, zu genießen.
Ein Traum in Weiß!
Dick verschneite Wege, Bäume mit einer Puderzuckerschicht überzogen, weiße Hänge und ebenfalls eingeschneite und vereiste Berggrate, auf die das Sonnenlicht schien, gebrochen wurde und strahlende Reflexe gegen einen postkartenblauen und wie erstarrt wirkenden Winterhimmel warf.
Häuser, tief verschneit und mit weißen Hauben bedeckt, duckten sich wie Farbtupfer gegen Hänge, auf denen der Tiefschnee lag. Graue Rauchfahnen krochen aus den Öffnungen der Schlote, als könnten sie sich nicht entscheiden, ob sie in die klare Luft steigen oder wieder zurückkehren sollten.
Hoch über allem standen die Eisgletscher!
Ein majestätisches Bild. Stolz grüßten sie hinab in das Tal. Funkelnd vor Licht auf der Sonnenseite und bläulich schimmernd an den Stellen, wo Schatten ihre langen Bahnen warfen.
Eine Landschaft aus spiegelndem Eis, aber wehe dem, der sich darin verirrte und sich nicht auskannte. Er würde in dieser Hölle elendig erfrieren.
Die nicht eingefrorenen Wasserfälle wirkten wie lange, graue Zungen, die in die Tiefe leckten. Sie sprangen über Felsvorsprünge hinweg, an deren Kanten lange Eiszapfen hingen, deren lanzenartige Spitzen wie Dolche aus Eis in die Tiefe wiesen.
Stille hüllte die Bergwelt ein. Das Schweigen des Winters ließ manchen Spaziergänger nur flüstern oder auch vor Ehrfurcht erstarren, wenn er diese grandiose Hochgebirgswelt sah.
Anders war es in den Tälern, wo die Orte lagen. Zwar lief das Leben hier hektischer ab, allein durch die anfahrenden Wagen, aber auch hier hatte der Winter Früchte getragen. Der große Lärm hielt sich in Grenzen, und die oft klirrende Kälte ließ die Bewegungen der Urlauber einfrieren.
Nicht jeder konnte sich den Luxus erlauben und sich zurück in sein Zimmer oder Haus ziehen. Es gab zahlreiche Menschen, die arbeiten mußten.
Zu ihnen gehörte auch Helmut Kaiser. Ein hochgewachsener Mann mit dunklen Haaren und einer ebenfalls dunklen Brille. Helmut Kaiser war Deutscher. Er gehörte zu den Menschen, die während der Saison in den Hotels arbeiteten und dafür nur eine befristete Aufenthaltserlaubnis erhielten.
Kaiser war angestellt im Royal-Hotel Gemmi. Dort war er Chef de range, praktisch derjenige, der die Brigade der Ober kontrollierte.
Obwohl Helmut Kaiser noch nicht sehr lange diesen Arbeitsplatz innehatte, wußte er über die unheimlichen Vorgänge Bescheid, die sich vor rund zwei Jahren innerhalb des Hotels abgespielt hatten. Er kannte auch Thomas, den Zombie. Dieser Mann war sein Vorgänger gewesen, und wenn die Gäste am Abend an der Bar saßen, sprachen sie natürlich immer wieder über diese unheimlichen Vorgänge, die nie vergessen wurden, denn sie hatten das Hotel erschüttert.
Einheimische gingen sogar noch weiter. Sie redeten davon, daß man Thomas nie gefunden hatte.
Nicht einmal bei einer großangelegten Suchaktion. Es waren keine Überreste entdeckt worden, und man ging schließlich davon aus, daß die Räder des fahrenden Zugs den Zombie vernichtet hatten.
Die Züge fuhren mehrmals stündlich durch den Tunnel, Tag für Tag. Nie war etwas passiert.
Auch Helmut Kaiser dachte kaum an seinen Vorgänger. Zumindest nicht tagsüber. Nur wenn sich die Bargespräche um diese Geschichte drehten, dann berichtete er.
Im Winter wurden die Nächte lang. Wenn Helmut Kaiser Bardienst hatte, kam er nie vor zwei Uhr ins Bett. So war es auch an diesem Mittwoch. Zwei Ehepaare hatten einfach kein Ende finden können und den Champagner fließen lassen. Eines dieser Ehepaare war Stammgast. Vor Jahren hatten sie den Schrecken sogar miterlebt.
Heinz Stahlmenger, ein Mann aus dem Ruhrgebiet und Besitzer eines kleinen Kaufhauses. Er schaute schließlich auf
Weitere Kostenlose Bücher