0474 - Der Hexenstein
umklammert hielt. Woher der Eiszapfen stammte, wußte keiner von ihnen. Jedenfalls hatte er im Rinnstein gelegen, und er wurde in der Hand des Untoten zu einer mörderischen Waffe. Da wußte auch Kaiser, daß es besser war, die Flucht zu ergreifen, obwohl sich der Zombie nicht sehr schnell bewegte.
Sein Hochheben der Arme geschah im Zeitlupentempo. Den dickeren Teil des Zapfens hielt er mit beiden Händen fest und schwang die Arme nach hinten, so daß der Zapfen über seinem Kopf schwebte.
Da drehten sich die beiden Männer. Sie starteten genau in dem Moment in verschiedene Richtungen, als der Zombie den Zapfen schleuderte, der sich in der Luft einige Male drehte, dann Kaisers Rücken in Hüfthöhe streifte, abprallte und an einer Fensterecke gegen die Holzwand des Hauses schlug. Dort bekam er einen so starken Drall, daß er die kleine Scheibe des Fensters zerstörte.
Die Scherben segelten in das Innere des Hauses, der Eiszapfen aber fiel vor die Hauswand und blieb im Schnee liegen.
Kaiser und Grinzer liefen weg. Hinter dem Haus trafen sie zusammen. Grinzer wartete schon an einer Schneewehe. Er keuchte. In seinen Augen glänzte es feucht. »Verdammt, wir haben Glück gehabt, Helmut. Ich habe es dir gesagt. Du wolltest mir nicht glauben…«
»Ja, schon gut, schon gut. Ich habe dir ja geglaubt.«
»Das meine ich auch.«
»Und jetzt?«
Giancarlo hob die Schultern. »Ich weiß es nicht. Wir müssen die Leute warnen und ihnen sagen, wer sich hier herumtreibt.«
Helmut Kaiser lachte. »Wenn das so einfach wäre. Nein, mein Freund. Wir können den Ort nicht evakuieren lassen. Tut mir leid, das ist einfach nicht drin.«
»Aber wie…?«
Kaiser legte den ausgestreckten Zeigefinger auf seine Lippen. »Warte ab, mein Freund.«
»Bitte.«
Sie lauschten, denn sie hatten Schritte vernommen. Die Tritte wurden langsam gesetzt, und sie knirschten über den Schnee.
Kam der Zombie? Suchte er sie bereits, um das zu vollenden, was er bereits begonnen hatte?
Keiner wußte es. Die beiden Männer standen wie Eiszapfen in der drückenden Kälte. Ihre Augen waren weit geöffnet, sie schauten in die Richtung, aus der der Zombie kommen mußte.
Kein Schatten erschien neben der seitlichen Wand der Andenkenbude. Auch die Geräusche der Tritte im Schnee nahmen ab. Ein Zeichen, daß sich der Untote von ihnen entfernte.
Kaiser und Grinzer warteten so lange, bis nichts mehr zu hören war. Dann erst lösten sich die beiden aus ihrem Versteck und bewegten sich über den glatten Schnee und im Schutz der Hauswand auf die Straße zu.
Sie war leer.
Selbst auf der gegenüberliegenden Seite war nichts von der Gestalt zu sehen.
»Haben wir geträumt?« fragte Grinzer.
Helmut Kaiser schüttelte den Kopf und deutete zu Boden. »Nein, wir haben nicht geträumt. Da sind Spuren im Schnee, und die stammen nicht von uns. Das war er.«
Grinzer nickte bedächtig. Er starrte in die Nacht, wobei er flüsternd wiederholte: »Ja, das war er. Das war dieser verfluchte Zombie, diese Brut, dieser Untote…«
»Laß gut sein, Giancarlo«, unterbrach Kaiser ihn. »Wir müssen auf jeden Fall etwas unternehmen.«
»Und was?«
Helmut Kaiser hob die Schultern. »Das weiß ich auch nicht genau, aber ich könnte mir vorstellen, daß derjenige sich noch einmal in Kandersteg sehen läßt, der Thomas schon einmal erledigt hat.«
»Du denkst an diesen Engländer?«
»So ist es!«
Grinzer dachte eine Weile nach, dann nickte er. »Ja, Helmut, das ist die Lösung. Vielleicht hat er Zeit und kommt. Eine andere Chance sehe auch ich nicht…«
***
Wer sagt, daß Wintertage in den Großstädten romantisch und herrlich sind, der gehört meines Erachtens zu den Leuten, die andere auf den Arm nehmen wollen.
Gut, wenn der Schnee frisch gefallen ist und noch in den Parks liegt oder an den Ufern irgendwelche Seen und Teiche, die das Stadtbild verschönern, da würde ich noch zustimmen, aber wenn man als Fußgänger oder Autofahrer über gefrorenen Matsch gehen und fahren soll, bleibt von einer Romantik keine Spur mehr. Dann ist das schon alles verdammt bescheiden.
Ich ärgerte mich auch über den Winter, der wie ein weißes Untier über die Insel gekommen war. Er hatte den Schnee und die Kälte gebracht. Die Menschen waren nicht vorbereitet gewesen. Es hatte Tote gegeben, Autos waren in den Schneeverwehungen steckengeblieben, und an manchen Stellen, besonders in den eingeschneiten Orten auf dem Land, war die Energieversorgung zusammengebrochen.
Davon blieben wir in
Weitere Kostenlose Bücher