0474 - Nummer 1 wird abserviert
mich, denn die Lady mußte die Fünfziger-Hürde längst übersprungen haben.
»Ich meine, wie ein wirklicher Mann«, bekräftigte sie. »Was wollen Sie mir verkaufen?«
»Sind Sie Mrs. Dockrow?«
Meine Frage stimmte sie traurig. Sie schüttelte die rotgefärbten, in eine Menge kleiner Locken gedrehten Haare. »Niemand erkennt mich mehr. Ich bin es, junger Mann. Kommen Sie herein.« Sie führte mich in einen Wohnraum, dessen Wände voller Fotografien hingen. Sie zeigten eine junge Eileen Dockrow in Dutzenden von Kostümen, in Szenenbildern und bei Filmaufnahmen. Ich begriff, daß die Lady eine Laufbahn als Schauspielerin hinter sich hatte.
»Ich bin FBI-Beamter«, sagte ich. »Sie haben eine Vermißtenanzeige für Jeanette Harrow auf gegeben?«
Sie schob mir ein Zigarettenpäckchen über den Tisch. Ich dankte. »Ich bin wirklich in Sorge um Jeanette«, sprudelte sie hervor. »Vor drei Tagen, gestern und heute versuchte ich, sie telefonisch zu erreichen. Ich rief morgens, mittags und abends an. Nie meldete sie sich. Ich fuhr zu ihrer Wohnung. Sie besitzt ein Haus in Queens Village. Es war abgeschlossen. Ich klingelte, klopfte, rief. Nichts. Ich sprach mit ihren Nachbarn. Sie hatten Jeanette seit Tagen nicht mehr gesehen.«
Sie stoppte, quirlte die Zigarette zwischen den stark geschminkten Lippen und flötete: »Oh, Boy. Wollen Sie mir nicht Feuer geben.«
Ich fischte das Feuerzeug aus der Tasche. Sie nahm einen Zug aus der Zigarette und zerdrückte sie im Aschenbecher, bevor ich das Feuerzeug wieder eingesteckt hätte.
»In Wirklichkeit rauche ich nicht«, erklärte sie, »aber mein Manager behauptete, eine Zigarette zwischen den Lippen gäbe mir einen Zug ins Dämonische. Finden Sie das auch?«
»Bitte, sprechen Sie weiter über Mrs. Harrow.«
»Miß Harrow, bitte. Jeanette ist eine Miß. Sie war nie verheiratet.« Sie beugte sich ein wenig vor, obwohl ihr das wegen ihrer Korpulenz schwer fiel. »Eigentlich habe ich keinen Grund, mich über Jeanettes Abwesenheit aufzuregen, wenn wir auch sehr befreundet sind. Sie neigt zu plötzlichen Entschlüssen. Früher, wenn sie von ihrem nervösen Koller gepackt wurde, fuhr sie irgendwohin. Der Himmel mag wissen, was sie dort trieb. Gewöhnlich kam sie nach ein paar Tagen zurück und hatte dann einen Nervenzusammenbruch mit Weinkrämpfen und Selbstmordabsichten.« Sie schüttelte die roten Löckchen. »In Wahrheit dachte Jeanette nicht an Selbstmord. Es war ihre Art, sich in Szene zu setzen, nachdem sie nicht mehr im Mittelpunkt stand.«
Ich erwischte eine Pause, in der sie Luft holen mußte. »Warum haben Sie eine Vermißtenanzeige aufgegeben, wenn Sie sich keine Sorge um Miß Harrow machten?«
»Oh, selbstverständlich machte ich mir Sorgen, als ich mit Jeanettes Fahrschule telefonierte und erfuhr, daß sie seit einigen Tagen nicht zum Unterricht gekommen ist. Als wir uns zuletzt sahen, sprach sie begeistert vom Unterricht. Sie war überzeugt, daß sie es dieses Mal schaffen würde. Ich glaube, sie hat sich in ihren Fahrlehrer verliebt.«
Ich nahm eine Fotografie aus der Tasche. Es war eine Aufnahme der toten Frau aus dem Meadow Lake. »Ist das Jeanette Harrow?« fragte ich und hielt das Foto Mrs. Dockrow hin.
Die dickliche Frau erblaßte. Von der einen Sekunde zur anderen verfiel ihr Gesicht. »Ist sie tot?« fragte sie stotternd.
»Ja. Ist das Jeanette Harrow?«
Sie vermochte nicht zu antworten. Stumm nickte sie. Ich schob das Foto in die Tasche zurück.
Eileen Dockrow brauchte zwei Minuten, um die Fassung wiederzugewinnen. »Kann ich mir einen Drink holen?« fragte sie leise. Sie stand auf und sie schlurfte zu einem Schrank, dessen Türen sie öffnete. Ich hörte das Gluckern der Flüssigkeit, als sie ihr Glas füllte. Sie trank, füllte das Glas neu und kam, das Glas in der Hand, zurück. Schwer ließ sie sich in den Sessel fallen.
»Mord?« stieß sie hervor.
»Vermutlich nicht.«
»Ein Unglück?«
»So kann man es nennen. Besaß Miß Harrow nähere Angehörige?«
»Niemanden, mit dem sie sich nicht schon vor zehn Jahren verkracht hätte. Sie lebte allein in ihrem Haus in Queens Village.«
»Wußten Sie von ihrer Rauschgiftsucht?«
Wieder erschrak Eileen Dockrow. Sie bekämpfte den Schreck mit einem großen Schluck. »Ich habe nie etwas gemerkt«, erklärte sie, »aber ich finde es nicht erstaunlich. Sie müssen wissen, Mr. G-man, daß Jeanette Zeiten hatte, in denen sie völlig außer sich war. Solange ich sie kenne, war sie ein
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