0475 - Meine Totenbraut
die Zehenspitzen. Ich wußte, was kam und drückte den Rücken durch. Mit der Schulter berührte ich die Türkante, aber ihre Lippen trafen dennoch meinen Hals.
Es war, als hätte mich ein Toter berührt. Unter diesem leichten Druck erschauderte ich, verkrampfte auch innerlich und hörte ihr leises Sprechen.
»Du willst nicht, mein Geliebter, du willst nicht. Aber das ändert sich, wenn wir Mann und Frau sind…«
Ich mußte irgend etwas sagen und flüsterte: »Ja, so lange möchte ich gern noch warten.«
Mit dieser Erwiderung hatte ich ins Schwarze getroffen. Ihre Hände lösten sich von meinem Hals, glitten noch einmal über die Schultern hinweg, dann drehte sich die Totenbraut nach rechts, ging zwei Schritte, blieb stehen und deutete mit dem ausgestreckten Arm in den vor uns liegenden Raum.
»Hier wird der Ort sein, an dem wir Mann und Frau werden. Erst dann kannst du ihn wieder verlassen.«
Die Geste war eindeutig. Sie wollte, daß ich die Kapelle betrat, die als Anbau neben dem Château lag.
Sie war nicht sehr groß - und auch halb verfallen. An beiden Seiten sah ich zahlreiche Fenster. Als graue Öffnungen zeichneten sie sich im Mauerwerk ab. Die meisten besaßen kein Glas mehr. Der Wind wehte hindurch, so daß in dem düsteren Raum auch Durchzug herrschte, der mit den Dingen spielte, die überall herumlagen.
Papier, leere Dosen, alte Kartons, teilweise zerrissen, schaufelte der Durchzug vor sich her oder drehte die Dinge im Kreis. Vielleicht hatte die Kapelle Obdachlosen als Unterschlupf gedient. Auch Jugendliche kamen sehr oft an einsame Orte, um irgendwelche Feten zu feiern, in die keine Eltern platzen konnten.
Mein Blick glitt zur Decke hoch. Das alte Holzgebälk existierte nur mehr in Fragmenten.
Irgendwann waren einmal Balken abgebrochen und zwischen die Sitzbänke gefallen. Sie lagen wie große, dunkle Stummel auf den Bänken und hatten diese an einigen Stellen eingeschlagen.
Wer in die Kapelle hineinwollte, mußte durch tiefen Staub schreiten, der, falls er nicht verweht worden war, zahlreiche Fußabdrücke aufwies. Automatisch zählte ich die Bankreihen durch. Auf jeder Seite standen sechs. In der Mitte befand sich der Gang, wo meine Totenbraut wartete, mir zuwinkte und mit flüsternder Stimme verlangte, die Tür zu schließen.
Ich zog sie zu.
»Und jetzt komm zu mir«, sagte sie.
»Wo sollen wir uns trauen?«
»Vorn, da hat der Altar gestanden. Die alte Platte ist noch vorhanden. Ich kann mich daran erinnern, daß ich als Kind oft in die Kapelle gekommen bin, mich vor den Altar gekniet und gebetet habe. Es war wunderbar. Damals kam ich auch zu dem Entschluß, in ein Kloster zu gehen, aber ich lernte noch vor dem Eintritt Hector de Valois kennen und auch lieben.«
Margaretha redete viel. Wahrscheinlich war sie froh darüber, etwas loswerden zu können. Sie wartete auf mich im Gang zwischen den letzten beiden Bänken.
Wieder streckte sie mir ihre Hand entgegen. »Wir werden die Kapelle wieder so herrichten, wie sie früher war. Das sind wir ihr einfach schuldig. Ich freue mich darauf, ich habe genug warten müssen, nichts kann uns jetzt noch aufhalten.«
Abermals faßte sie mich an und zog mich weiter. Nach zwei Schritten schon hakte sie sich bei mir ein, und so schritten wir wie ein normales Brautpaar zum Altar.
Die Situation kam mir immer unwirklicher vor. Zudem hatte ich noch nicht herausfinden können, wie ich dieser Trauung entgehen sollte. Der seelische Druck, hervorgerufen durch Sukos Gefangenschaft, lähmte meine Gedanken.
Unsere Sohlen wirbelten Staub hoch, wenn sie über den Boden schleiften. Der Wind tat sein übriges. Manchmal wehte er kalt in den Nacken, wenn wir direkt in den Durchzug hineingingen.
»Freust du dich?« fragte Margaretha plötzlich.
»Ich weiß nicht so recht.«
Sie preßte sich gegen meine Seite. »Ja, ich kann dich gut verstehen, Geliebter. Das alles hat dich ein wenig überrascht, aber du wirst dich an ein Leben mit mir gewöhnen, glaub es mir. Hector ist nicht ohne Grund in dir wiedergeboren worden. Auch damit ich endlich mein Glück und meine Zufriedenheit finde.«
Mir kam eine andere Frage in den Sinn. »Wie lange willst du noch leben, Margaretha?«
»Oh, sehr lange. Vielleicht ewig.«
»Dann überlebst du mich.«
»Ja, das sehe ich so. Und wenn du gestorben bist, gehört mir das Kreuz. So beende ich die lange Kette, von der mir Hector berichtet hat.«
»Was sagte er dir?«
»Er sprach über Hesekiel ebenso wie über Salomo und Richard
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