0479 - Der Blutjäger
Kapitals leben kann. Ich verdiene eine Unmenge Geld, weil ich verdammt gut bin, aber ich schleudere es nicht einfach so aus dem Fenster, wie es viele andere tun. Ich versuche es zusammenzuhalten und vorerst einigermaßen preiswert zu leben. Vielleicht mache ich später auch mal eine eigene Agentur auf. Oder ich gehe ans Theater. Es wird sich zeigen. In den nächsten Jahren ist mein Körper jedenfalls noch gefragt.«
Gryf nickte. »Gesetzt den Fall, du verliebst dich unsterblich, und dein Partner möchte nicht, daß du weiter für Nacktfotos posierst. Was würdest du tun?«
»Frag mich ruhig was leichteres. Ich weiß es nicht, und ich werde mir darüber auch erst dann Gedanken machen, wenn es soweit ist«, erwiderte sie. »Worauf willst du hinaus?«
Gryf antwortete nicht.
»Dann eben nicht«, murmelte sie. »Tust du mir jetzt noch den Gefallen und bringst mich wieder nach Hause?«
»Kein Abendspaziergang durch London? Theater? Kino? Kultur? Ein gepflegtes Restaurant, Musik und Tanz…«
Sie schüttelte energisch den Kopf. »Junge, ich bin fix und fertig. Und ich kenne, verdammt, London nur zu gut. Was glaubst du, warum ich hier nicht wohne? Es ödet mich an!«
»Na schön«, sagte Gryf. »Nimm meine Hand und stell dir deine Wohnung ganz genau vor. In drei Sekunden sind wir da. Eins, zwei…«
***
Die Agenturchefin, von allen stets nur Francine genannt, hatte von dem Verlagsfotografen die Bestätigung erhalten, daß Rhiannon noch zu den beiden anderen Modellen gestoßen war, so daß die Foto-Session stattfinden konnte; für die Agentur war diese Bestätigung soviel wie bares Geld. In den nächsten Tagen würde der fünfstellige Honorarscheck eintrudeln. Francine ging zum Aktenschrank, nahm die »Rhiannon«-Mappe heraus und trug die Daten und den Rechnungsbetrag ein. Dann gab sie diese Zahlen noch einmal in die Datenverarbeitung ein. Als sie die Mappe in den Schrank zurücklegte, griff sie fast automatisch nach dem »Katalog«.
Die Agentur lief hervorragend; Francine hatte vorwiegend Stammkunden, die Kopien dieses Kataloges vorliegen hatten wie beispielsweise jener Verlag, für den Rhiannon heute fotografiert worden war. Aber es gab auch »Gelegenheitskunden«, die mal wieder frische Gesichter brauchten. Dann kramte Francine diesen großen Aktenordner mit den Hochglanzfotoseiten hervor.
Francine besaß ein nahezu fotografisches Gedächtnis. Vor zwei Tagen hatte sie diesen Ordner jemandem vorgelegt, der sich dann aber noch nicht hatte entscheiden können. Das war durchaus normal.
Francine blätterte in den Seiten, prüfte die Bilder. Hin und wieder kam es vor, daß Fotos gegen neuere, aktuellere ausgetauscht wurden. Deshalb hatte die Chefin es sich zur Angewohnheit gemacht, den Aktenordner immer wieder mal durchzustöbern.
Sie stutzte.
Da fehlte ein Blatt.
Und zwar das von Rhiannon!
»Moment mal«, murmelte Francine. Sie kontrollierte den Katalog jetzt gewissenhaft Seite für Seite - vielleicht hatte der letzte Besucher ein paar Blätter herausgenommen, um sie nebeneinander zu legen und einen Direktvergleich zu machen. Dann bestand die Möglichkeit, daß er sie falsch wieder eingeheftet und die Reihenfolge etwas durcheinandergebracht hatte.
Aber nachdem Francine ihre Kontrolle zweimal wiederholt hatte, war sie sicher: Rhiannons Blatt fehlte!
Das war seltsam. Wer klaute denn Agenturfotos?
Sie sah ihre Notizen durch, fand die Adresse des letzten Kunden und vermißte die Angabe der Telefonnummer, welche sie dann über die Auskunft zu erhalten versuchte. Doch man teilte ihr mit, daß es unter dem angegebenen Namen und der angegebenen Adresse keinen Telefonanschluß gebe.
Sie schüttelte ungläubig den Kopf. So etwas gab’s doch gar nicht; wer sich an eine Modellagentur wandte, hatte Telefon! Das war unabdingbar, um Geschäfte führen zu können.
Demzufolge war dieser Kunde ein faules Ei.
Leider ließ sich so etwas nicht immer ausschließen.
Francine rief die Polizei an und erstattete Diebstahlanzeige. Man versprach, einen Beamten vorbeizuschicken, der sich den Tathergang schildern lassen und ein Protokoll anfertigen sollte; danach würde man die Kundenadresse einmal näher unter die Lupe nehmen.
Als nächstes rief Francine bei Rhiannon an und sprach erneut eine Notiz auf den Anrufbeantworter. Sie war es ihren Modellen schuldig, für deren Sicherheit zu sorgen, und daß Rhiannons Fotos entwendet worden waren, deutete darauf hin, daß jemand sich auf eine recht ungewöhnliche Weise für das Mädchen
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