0479 - Die Nacht der bösen Angela
verändern oder aufbauschen, aber im Prinzip lügen sie nicht, davon bin ich überzeugt. Dieser Bericht über die böse Angela kann mit meinem Ahnherrn zu tun haben. Dieses Mädchen wurde in der Chronik erwähnt. Man hat es nicht gefunden. Irgendwie, und das kannst du mir abnehmen, John, fühle ich mich schuldig den Menschen gegenüber, die in Tullmer leben. Mein Ahnherr hat sie damals in Angst und Schrecken versetzt. Ich möchte etwas wiedergutmachen.«
»Und die böse Angela vernichten.«
»Ja.«
»Mit meiner Hilfe«, nahm ich den Faden wieder auf und schmunzelte dabei.
»Auch das.«
»Abbé, ich glaube dir zwar, aber doch nicht ganz. Du hast noch etwas in der Hinterhand.«
»Wieso?«
»Wir kennen uns inzwischen ziemlich gut. Seit wann brauchst du Hilfe, um einen kleinen Vampir zu jagen? Das wäre etwas völlig Neues an dir.«
Er ließ sich Zeit mit der Antwort.
Erst als wir über eine schmale Brücke mit zwei gebogenen Geländern wollten, gab er sie mir. »Du hast im Prinzip recht, John, die böse Angela wäre möglicherweise für mich kein Problem gewesen, aber ich werde den Eindruck nicht los, daß diese Spukgestalt nicht ohne Grund erschienen ist.«
»Sie will Menschen jagen.«
»Auch.«
»Und was kommt noch hinzu?«
Er lachte. »Das weiß ich eben nicht. Ich will es herausfinden, in Gottes Namen. Natürlich kann ich dabei auf die Nase fallen, weil ich einen Lattenschuß gelandet habe, aber daran will ich nicht glauben. Irgend etwas stimmt da nicht.«
»Mal sehen.«
Der Wagen tat seine Pflicht. Er war mit Winterreifen ausgerüstet, denn wir gerieten auch in Gegenden, wo noch Schnee auf der Straße lag.
Nach Tullmer hin senkte sich das Gelände wieder, denn der Ort lag im Tal.
Noch auf der Höhe stoppte der Abbé. »Schau es dir an, John, dort unten liegt Tullmer.«
»Ein netter Ort.«
»Das meine ich nicht. Sieh mal nach links.«
Zu den Vogesen hin breitete sich der Winterwald aus. Die Nadelbäume hatten ihr Kleid nicht verloren. Sie leuchteten in einem satten Grün. Dahinter aber erkannten wir eine ziemlich glatte Fläche, deren Farbe ein stumpfes Braungrün zeigte.
»Meinst du das?« fragte ich den Abbé.
»Genau. Dort befindet sich der Sumpf. Ein gefährliches Gebiet, wie ich weiß. Als sie meinen Ahnherrn pfählten, muß er aus dem Sumpf gekommen sein, in den er zuvor mit Angela hineingeritten war. Er kehrte allein zurück, demnach ist sie dort geblieben und wahrscheinlich auch versunken, bis sie vor kurzem zurückkehrte.«
Wir hatten nicht einmal Mittag. Noch immer stand die Sonne am Himmel. In einer Woche war März. Ich merkte den Strahlen bereits an, daß sie mehr Kraft hatten.
»Ich würde meinen, Abbé, daß wir uns den Sumpf einmal näher ansehen. Tullmer läuft uns nicht weg…«
»Das ist gefährlich.«
»Wir brauchen ja nicht direkt hineinzugehen, aber einen Blick möchte ich schon auf die Gegend werfen.«
Bloch überlegte. »Gut, dann gib mir mal die Karte aus dem Handschuhfach.«
Er erhielt sie, faltete sie auf, und gemeinsam schauten wir nach. Es war eine Wanderkarte. Es dauerte einige Minuten, bis wir uns zurechtgefunden hatten, dann aber klappte es.
»Ja, hier sind wir«, sagte der Mann und ließ seinen Finger weiterwandern. »Und dort müssen wir hin.«
Der Sumpf war als eine braungrüne Fläche eingezeichnet und auch mit einigen roten Warnzeichen, die jeder beachten mußte, wenn er nicht gerade lebensmüde war.
Einen Weg durch den Sumpf gab es nicht. Jedenfalls war keiner eingezeichnet. Dieses Risiko ging kein Kartograph ein, denn Wege durch den Sumpf konnten sich innerhalb eines Jahres verändert haben, wenn sie nicht gerade auf Knüppeldämmen angelegt worden waren.
»Sollen wir noch immer?«
»Ich bin dafür.«
»Dann los.« Der Abbé reichte mir die Karte, die ich zusammengefaltet in die Innentasche steckte.
Wir starteten und rollten zunächst dem Ort entgegen. Autoverkehr herrschte kaum. Die Wagen, die uns begegneten oder die wir überholten, konnten wir an zwei Händen abzählen.
»Vor Tullmer müssen wir ab«, sagte der Abbé. »Da habe ich auf der Karte einen schmalen Weg gesehen.«
»Du als alter Pfadfinder entdeckst den immer.«
Ich hatte nicht übertrieben. Es dauerte nur noch wenige Minuten, bis wir die schmale Einmündung erreichten. Sie war breiter als unser Wagen, aber der Boden glich einer schwammigen Fläche, die zudem ziemlich tief war, so daß wir Mühe hatten, voranzukommen und die Räder manchmal sogar durchdrehten.
Der Winter hatte
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