0479 - Die Nacht der bösen Angela
praktisch unser Startsignal. Auf dem Rückweg hingen wir unseren Gedanken nach. Jeder befaßte sich mit dem Problem, aber über Ergebnisse sprachen wir nicht. Es war genug spekuliert worden, jetzt mußten wir alles auf uns zukommen lassen.
Das Wetter verschlechterte sich zusehends. Der leichte Dunst bildete an besonders feuchten Stellen schon dicke Nebelwände, die wie graue Mauern über dem Sumpf standen.
Auf der normalen Straße war die Sicht noch ziemlich gut. Auch im Fahrtempo brauchten wir uns nicht einzuschränken.
Der erste Eindruck von Tullmer war positiv. Wir fanden eine saubere Stadt vor mit zahlreichen Fachwerkhäusern, wie sie für das Elsaß so typisch sind. Die Weinberge im Osten waren unter dem dünnen Dunstschleier verschwunden, und aus den zahlreichen Schornsteinen der Häuser quollen dünne Rauchfahnen.
Enge Gassen, feuchtes Kopfsteinpflaster, hohe Bordsteine, kleine Gasthäuser, Pensionen, einige Geschäfte, das alles entdeckten wir.
Die Straßen und Gassen waren nicht leer. Die Menschen gingen ihren gewohnten Tätigkeiten nach, kauften ein, arbeiteten oder schwatzten miteinander.
Und gerade diese Menschen kamen uns beim zweiten Hinsehen bedrückt vor. Wir vermißten beide die Fröhlichkeit. Das konnte auch am Wetter liegen, doch daran wollte ich nicht so recht glauben.
Wir parkten am Markt. Wenn ich in ein fremdes Dorf kam, stellte ich den Wagen immer dort ab.
Alte Häuser säumten ihn, eine große Eiche breitete ihr kahles Geäst aus, einige Kinder spielten Fangen, und gegenüber öffneten sich die Türen einer Schule, um die Schüler zu entlassen.
»Wo fangen wir an?« fragte der Abbé.
»Ich habe da meine eigenen Vorstellungen entwickelt. Um etwas zu erfahren, muß man entweder mit einem Polizisten reden, dann erhält man die Informationen offiziell, oder aber man geht in einen Gasthof und mischt sich unter die Leute. Du kannst wählen.«
»Wie wär's mit dem Dorf-Sheriff?«
»Falls es einen gibt.«
Im Rathaus gab es eine Polizeistation, die aber war nicht besetzt. Der zuständige Beamte hatte Urlaub und war in den Süden gefahren, weil seine Tochter dort heiratete.
»Bleibt uns die Kneipe.«
»Wir wär's mit dem Bürgermeister, John? Wo wir schon mal im Rathaus sind.«
Ich schaute den leeren Gang hinunter. Der Fußboden bestand aus dunkelroten Steinen. Sämtliche Türen waren geschlossen. »Hier findest du keinen. Es ist Mittag.«
»Gut, gehen wir etwas essen.«
Der nächste Gasthof lag nur wenige Schritte entfernt. Er war in einem alten Fachwerkhaus untergebracht worden. Über der Tür schaukelte ein großer Hahn aus Messing.
Wenn der Wirt immer so gut zu tun hatte wie an diesem Mittag, konnte er schnell reich werden. Es gab kaum noch einen freien Platz. Zwei Serviererinnen schleppten Tellergerichte an die Tische.
Wahrscheinlich saß hier die Besatzung des Rathauses und schlug sich die Bäuche voll.
Wir kämpften uns bis zur Theke durch. Nicht nur Bier wurde vom Faß verkauft, auch Wein. Ich entschied mich für Wein wie auch der Abbé.
Der Wirt, ein älterer Mann mit Lederschürze vor dem Bauch und aufgekrempelten Hemdsärmeln, schaute dreimal hin, als er uns sah.
»Ja, wir sind fremd«, sagte ich.
»Das dachte ich mir. Auf der Durchreise?«
»So ungefähr.«
Er servierte uns den Wein, wir tranken die ersten Schlucke und stellten die bauchigen Gläser wieder auf den alten, dunklen Holztresen, über dem Messingleuchten hingen, die ihren Schein fächerförmig verteilten. Die Kneipe war originell. Das fing bei den hochlehnigen Stühlen mit einem Korbgeflecht als Sitzfläche an und hörte bei den zahlreichen Souvenirs auf, die auf einem Regal standen und wohl von den Gästen mitgebracht worden waren.
Rechts neben mir saß ein älterer Herr, der seinen Schoppen trank und mich beobachtete. Als sich unsere Blicke wieder trafen, lächelte ich. Das faßte der Mann als Aufforderung für ein Gespräch auf und meinte: »Ich habe zufällig aufgeschnappt, daß die Herren fremd sind.«
»Das stimmt!«
Der Mann strich über sein schwarzgraues, gescheiteltes Haar. Auf seiner Oberlippe wuchs ein schmaler Bart von der gleichen Farbe. »Wollen Sie länger bei uns bleiben?«
»Das kommt darauf an, ob es uns gefällt.«
»Ich heiße übrigens Meier. Major außer Diensten.«
Auch wir stellten uns vor. Der Major merkte sofort, daß ich Engländer war, ging aber darauf nicht ein, sondern beschäftigte sich mit unserem Bleiben.
»Normalerweise würde ich nichts sagen. Wir sind
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