0486 - Der unheimliche Shaolin
konnte viel geschehen.
Seit Lin Cho die Handschuhe trug, schritt er mit der Geschwindigkeit eines Jünglings dahin. Er betrat wieder den normalen Teil des Klosters und auch den großen Tempel, wo die Mönche noch immer saßen und in ihre Gebete vertieft waren.
Ihr Murmeln verstummte ebenso wie das Rattern der Mühlen, als der alte Shaolin die Tür öffnete.
Wieder schritt er durch den Mittelgang und blieb dort stehen, wo der Tote lag und er hochschauen konnte zur Buddhastatue. Er kniete nieder, verbeugte sich und sprach ein lautes Dankgebet, denn der große Geist hatte ihn erhört.
Dann redete er zu den Mönchen. Diesmal hörten sich seine Worte kämpferischer an. Lin Cho wollte das Kloster nicht aufgeben. Er war derjenige, dem es anvertraut worden war und der es auch verteidigen wollte. Er erklärte den Mönchen, daß er noch in dieser Nacht in das Lager der Feinde gehen würde, um sie zu schwächen.
»Schaut her!« rief er zum Abschied und hob beide Hände an. »Der Drachengott hat mich erhört. Er hat mir diese Waffen mit auf den Weg gegeben, die mich stark machen werden. Diese Handschuhe sind etwas Besonderes. Ich werde sie tragen und in Ehren halten, und sie werden sie demjenigen überlassen, der würdig genug ist. Sie sind nun zu meinem Wegbegleiter geworden. Wartet hier auf mich und betet. Ich reite allein gegen das Lager der Barbaren.«
Keiner widersprach. Der Meister hatte einen Entschluß gefaßt. Er mußte wissen, was gutwar.
Aber er hatte seinen Schwur dafür brechen müssen. Jetzt zollte man ihm einen noch größeren Respekt.
Und so verließ er den Tempel und ging zu den Ställen.
Nur wenige Pferde standen dort. Er suchte ein besonders zähes Reittier aus. Einen Sattel besaß er nicht. Über den Pferderücken war eine Decke gelegt worden.
Er stieg auf und ritt davon. Das leise Klappern der Hufe verschwand wie eine ferne Melodie…
Die Mönche blieben im Kloster zurück. Ihre Gebete erfüllten die Halle des Tempels, während der alte Shaolin gegen eine Übermacht von Feinden antrat…
***
Lin Cho hatte einen langen Weg hinter sich. Und er hatte zu einer bestimmten Zeit im Tal eintreffen wollen, was ihm auch gelungen war, denn die Morgennebel verteilten sich dort wie ein gewaltiges, undurchdringliches, graues Meer.
Die Hufe des Pferdes waren mit Lappen umwickelt worden. Lin Cho war sehr vorsichtig. Auch wenn der Nebel viele Geräusche schluckte, die Wachen besaßen oft sehr gute Ohren.
Seine Hände lagen auf dem Hals des Pferdes. Die Drachenzeichen auf den Handrücken glühten manchmal auf, als wären sie in Feuer getränkt worden. Der Shaolin war jetzt schon mit ihnen verwachsen. Er konnte sich nicht vorstellen, je ohne sie gelebt zu haben. Wahrscheinlich bestanden sie aus Drachenhaut, die sehr geschmeidig dig geworden war und sich seiner Handform anpaßten.
Das Tier gehorchte ihm. Er brauchte dem Pferd nicht das Maul zuzuhalten, es wußte, daß es nicht schnauben sollte. Sehr vorsichtig tastete es sich den steilen, schmalen und mit Geröll bedeckten Weg hoch. Manchmal stieß es gegen kleine Steine, die dann ins Tal rollten.
Der Nebel verdichtete sich. Es war gut für den Shaolin. So würde er besser durch den Kreis der Wachen gelangen. Obwohl der Nebel und die Dunkelheit eine Sicht so gut wie unmöglich machten, wußte Lin Cho, wo er sich befand. Er kannte die Umgebung des Klosters sehr genau und würde bald den Grund des Tals erreicht haben, doch bis dorthin wollte er nicht reiten.
Den Rest des Weges mußte er zu Fuß gehen!
Lin Cho stellte sein Tier an einer geschützten Stelle ab, wo eine überhängende Felsdecke es verbarg.
Zur vorn offenen Seite hin schützte es der wallende Nebel. Das Pferd bekam einen Klaps auf die Seite und rieb seine Schnauze ein letztes Mal an der Schulter des Mönchs, bevor dieser in die graue Nebelwand eintauchte.
Schon nach wenigen Schritten wußte er, daß die ersten Wachen sich in der Nähe befanden. Er sah sie nicht, er spürte sie nur. Es mußte an den Handschuhen liegen, daß er ihre Strömungen aufnehmen konnte. Ihre Körper gaben Wellen ab, die der Mönch aufnahm. Geschickt vermied er die Nähe der Wachen und wand sich durch die Lücken. Schon bald hatte er den äußeren Ring durchbrochen.
Zielsicher fand er einen schmalen Pfad, der ihn den letzten Rest der Strecke hinab bis in den Talgrund führte, wo die Barbaren ihr Lager aufgeschlagen hatten.
Wie dunkle Inseln wirkten ihre Zelte. Sie bestanden aus Fellen und Häuten, die über langen
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