0487 - Im Tempel des Drachen
entgegen, und die rote Sonne auf ihrer Armbrust strahlte so weit ab, daß sie die Figur mit einem roten Schein bedeckte, der sich ausbreitete und auch das unmittelbare Umfeld nachzeichnete.
Die Leere dieses Tempelraumes hatte trotz allem etwas Ungewöhnliches an sich. Ich spürte das leichte Kribbeln auf der Haut und hatte das Gefühl, nicht allein mit meinen Freunden zu sein. Etwas war noch da. Vielleicht der Geist Buddhas?
Auch Yakup dachte ähnlich. Er sagte jedoch nichts. Ich sah es seinen Blicken an, mit denen er den großen Raum durchforschte.
Suko schaute seiner Shao nach, die erst stehenblieb, als sie sich in der Nähe des Buddha befand, der rote Schein erlosch und sie sich vor der Figur verneigte, um anschließend in einen meditationsähnlichen Zustand zu versinken.
Wir störten sie nicht.
Shao wußte genau, was sie tat, auch wenn ich innerlich ungeduldig wurde, da ich stets an Shimada dachte, der vor den Klostermauern lauerte. Ich konnte mir gut vorstellen, daß ihn auch die hohen Wälle vor einem Eindringen nicht abhalten würden.
Dieser Tempel war eine andere Welt. Ein Reich für sich, leer, aber dennoch gefüllt.
Hier hielten sich keine Mönche mehr auf, die Sitzbänke waren leer, aber ein besonderer Geist lauerte zwischen den Wänden. Das Erbe des Vergangenen erfüllte uns, hier hatten die Menschen Gutes getan und meditiert. Sie waren mit ihren Gedanken weit in jenseitige Welten vorgestoßen, hatten sie möglicherweise auch auf diese Art und Weise erfaßt und so Kontakt mit dem Drachengötzen bekommen.
Der Drache und Buddha. Wie paßte das zusammen?
Ich hoffte, von Shao eine Antwort zu bekommen, wenn sie ihr Gebet beendet hatte.
Durch zwei Öffnungen fiel Licht. Es waren halbrunde Fenster und sie lagen hoch über der Gestalt des Buddha, so daß der helle Schein des Tages in den Tempel einsickern konnte und breite Streifen über den Boden legte, die sich mit der goldenen Sonne auf der Armbrust vermischten.
Auch Suko und Yakup rührten sich nicht. Ihre Gesichter, sie lagen zum größten Teil im Schatten, wirkten sehr ernst und gleichzeitig angespannt.
Yakup würde sicherlich über seinen Todfeind Shimada nachdenken. Bisher waren die Auseinandersetzungen zwischen ihnen stets unentschieden ausgegangen. Es sprach für Yakups Kraft und Cleverneß, daß er sich selbst von Shimada nicht hatte in die Knie zwingen lassen.
Shao war versunken. Wer so intensiv meditierte, der befand sich in einer anderen Welt. Der bekam Einblicke, für die ich ebenfalls dankbar gewesen, wäre, aber das hier war nicht meine Welt. Die Mythologie des fernen Asien wurde nur von wenigen Europäern begriffen und erst dann, wenn diese sich jahrelang mit dem Komplex intensiv auseinandergesetzt hatten.
Dennoch war der Tempel von einer regelrechten Ehrfurcht, der auch wir uns nicht entziehen konnten.
Früher hatten die Mönche hier gelebt und gebetet. Heute stand der Tempel leer, ebenso wie das Kloster. Weshalb? Hatte man sie vertrieben? war das Böse letztendlich stärker gewesen. Dagegen sprach die Figur des Buddha. Sie wäre bestimmt nicht geblieben, und so blieb uns nichts anderes übrig, als auf Shao zu hoffen.
Die Minuten vergingen. Wir bemühten uns, möglichst leise zu atmen. Nichts sollte die Frau stören, die das Erbe der Sonnengöttin Amaterasu übernommen hatte.
Ihre Gestalt war im Dämmerlicht des Tempels nur schattenhaft zu erkennen, aber dieser Schatten bewegte sich plötzlich, denn Shao richtete sich auf.
Ihre Bewegungen zeigten keine Hektik, dennoch waren sie geschmeidig. Sie blieb noch für einen Moment vor der Statue stehen, neigte den Kopf ein wenig nach vorn und drehte sich um.
Wir schauten ihr stumm entgegen, bis sie etwa auf der Hälfte der Strecke stehenblieb und uns zuwinkte. Es war eine Geste, die besagte, daß wir zu ihr kommen sollten.
Suko setzte sich als erster in Bewegung. Yakup und ich folgten ihm und bauten uns zu beiden Seiten des Chinesen auf, um ebenfalls zu erfahren, was Shao uns zu sagen hatte.
Sie schaute uns an. Die Maske hatte sie nicht abgenommen. In den Augenschlitzen wirkten ihre Pupillen wie tiefschwarze Kirschen. Ich versuchte aus diesem Blick zu lesen, es fiel mir schwer. Er war einfach zu unergründlich.
Shao sprach. »Es war gut, daß wir den Tempel zuerst betreten haben. So konnte ich doch einiges in Erfahrung bringen, was für uns von sehr großer Bedeutung sein wird.«
»Und was?« fragte Suko.
»Es gibt einen Überlebenden der alten Zeit!« erklärte Shao mit leiser
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