0487 - Im Tempel des Drachen
tanzte der rotschwarze Widerschein und malte Flecken auf unsere Haut.
Lin Cho beugte seinen mageren Oberkörper vor, so daß er in Shaos Nähe geriet.
Sie wußte, was er wollte und konzentrierte sich auf das, was er sagen wollte. Lin Cho brachte seinen kaum erkennbaren Mund dicht an ihr linkes Ohr und begann damit, ihr einige Worte zuzuflüstern.
Was er sagte, verstanden wir nicht, aber Shao nickte ein paarmal, bevor sie sich umdrehte.
Selbst im Widerschein des Fackellichts sah ihr Gesicht ernst aus, als sie uns anschaute. »Er hat mich noch einmal gewarnt, Freunde!« wisperte sie, »und ich möchte diese Warnung weitergeben. Was immer gleich passieren wird, dreht nicht durch, behaltet die Nerven und reagiert erst, wenn ich es euch sage.«
»Was ist das für eine Welt?« fragte ich.
»Die des Drachengötzen.«
»Klar, das weiß ich selbst. Aber wie sehen die Überraschungen aus? Hat er darüber etwas gesagt?«
»Nein, es ist die andere Dimension, die schreckliche Tiefe, das Grauen…«
»Weißt du tatsächlich nichts über die Gefahren?« fragte auch Suko.
»Hinter der Tür beginnt der Abstieg!«
Mehr bekamen wir von Shao nicht heraus. Sie überließ abermals Lin Cho den Vortritt, der die Tür sehr vorsichtig öffnete. Unheimlich klingende Geräusche schwangen uns entgegen. Die alten Angeln und Scharniere waren völlig verrostet. Jämmerliche Laute, zu vergleichen mit dem Stöhnen geisterhafter Wesen, die in den letzten Zügen lagen. Die richtige Begleitmusik für eine Reise in die Unterwelt oder die Dimension eines schrecklichen Dämons.
Auch jetzt ließ- uns Lin Cho nicht den Vortritt. Er hatte den rechten Arm mit der Fackel so weit erhoben, daß der Lichtschein über seinem Kopf tanzte, aber kein Ziel mehr fand, davor von der absoluten Finsternis verschluckt wurde.
Es war eine Dunkelheit, wie ich sie ebenfalls kannte. Auf Dimensionsreisen hatte ich sie erlebt. Sie grub sich tief in eine Umgebung ein und füllte sie völlig aus.
Eine Schwärze, die fraß, schluckte - und lebte!
Sie war hier trotz allem anders als die Kälte des Weltalls. Sie lebte tatsächlich, weil sie das Licht raubte, das uns den Weg weisen sollte. Die Fackel gab kaum Widerschein ab. Nur mit großer Mühe erkannte ich die erste Stufe einer Treppe.
Vorsichtig setzte ich meinen Fuß und suchte dabei vergeblich nach einem Geländer. Weder links noch rechts gab es den entsprechenden Halt. Die Treppe führte freischwebend in die Tiefe des Berges hinein. Ich dachte darüber nach, ob sie wohl von Menschen gebaut oder geformt worden war.
Möglich, es konnten sich auch andere Kräfte dafür verantwortlich zeigen.
Ohne Geländer, rauhe Stufen, die teilweise noch eine gewisse Glätte besaßen, so daß wir sehr vorsichtig gehen mußten. Ich warf noch einen Blick zum Eingang zurück. Sehr schwach zeichnete er sich noch ab, doch das Bild verschwand, denn die Tür glitt allmählich wieder zu, als würde sie von unsichtbaren Händen geschoben.
Ich hatte das Gefühl, von einem gewaltigen Maul geschluckt zu werden. Er fraß mich auf und zog mich immer tiefer hinein in einen unheimlichen Schlund ohne Licht.
Die knarrenden Laute der zufallenden Tür blieben zurück, ein letztes Schnappen noch, dann war Stille.
Mit dem Zufallen der Tür war uns der Rückweg gewissermaßen abgesperrt worden. Ich hatte das Gefühl, ein Gefangener zu sein.
Wäre das Licht der Fackel nicht gewesen, hätte ich von meinen Freunden überhaupt nichts gesehen.
So aber sah ich ihre Umrisse. Sie gingen vor mir. Da sie tiefer schritten, waren sie entsprechend kleiner als ich. Immer wieder fiel mein Blick auf die Fackel, weil mich ihr Kegel einfach faszinierte.
Das Licht breitete sich nicht mehr aus. Es schien mir, als wären Hände dabei, das Feuer zu einem Oval zu formen. Wie ein dicker Stern wies es uns den Weg durch die Finsternis. Mit der rechten Hand holte ich die Lampe hervor. Ich wollte wissen, ob sich Shaos Worte bestätigten.
Als ich die Lampe anknipste, sah ich zwar den Strahl, aber er fand kein Ziel. Nicht einmal die Stufe vor mir erreichte er. Die Dunkelheit saugte das Halogenlicht auf.
Das hatte ich kaum erwartet. Aber es bewies mir, daß ich diese Finsternis nicht als normal ansehen durfte. Sie war eine andere, vielleicht sogar eine dämonische, die voller Leben steckte. Leben, das niemand sah, das lauerte und irgendwann zuschlagen konnte. Möglicherweise war es auch gut so, daß wir nicht sahen, auf welch einem gefährlichen Weg wir uns bewegten. Eine
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