0487 - Im Tempel des Drachen
Wendeltreppe aus rohen Steinen und ohne Geländer, die steil in die Tiefe führte. Da durfte man sich keinen Fehltritt erlauben…
Wir gingen entsprechend vorsichtig. Bevor wir eine Stufe betraten, tasteten wir uns erst vor. Nachdem der Fuß den nötigen Halt gefunden hatte, ging es weiter.
Und die Tiefe saugte uns auf.
Der schwarze Schlund war wie ein Gefängnis, das keinen entkommen ließ. Manchmal hatte ich den Eindruck, durch schwarze Watte oder einen entsprechend gefärbten Nebel zu gehen. Hin und wieder, wenn ich den Blick einfach geradeaus richtete und ihn nicht gesenkt hielt, bekam ich den Eindruck, einfach ins Leere zu fallen.
Nur mit großer Mühe hielt ich mich und drängte die Gefahr an die bodenlose Tiefe zurück.
Ich dachte auch daran, daß wir auf der Treppe so gut wie wehrlos waren. Wenn Shimada uns jetzt überraschend angriff, waren wir verloren. Keine große Chance zur Gegenwehr.
»Vorsicht, John…« Der vor mir gehende Suko sprach die Worte nur leise.
Ich blieb stehen, streckte aber den linken Arm aus und legte meine Hand auf Sukos Schulter. »Was ist denn?«
»Ich weiß es auch nicht, aber Lin Cho geht nicht mehr weiter.«
»Kann Shao nichts sagen?«
»Sie spricht gerade mit ihm.«
Ich war still. Vor mir hörte ich das Wispern der Frauenstimme. Alles klang so geheimnisvoll, als wären die Personen vor mir überhaupt nicht mehr existent.
Meine Hand lag noch immer auf Sukos Schulter. Deshalb merkte ich auch, wie er sich zu mir umdrehte. »Wir werden warten müssen.«
»Auf was?«
»Shao hat etwas von einem Zeichen des Drachengötzen gesagt. Was das genau sein wird, weiß sie auch nicht.«
»Mal sehen.«
Noch passierte nichts. Wir standen in der Dunkelheit, ohne die berühmte Hand vor Augen zu sehen.
Obwohl ich starr nach vorn schaute, sah ich nur das Licht der Fackel. Über Lin Chos Kopf zeichnete es sich noch immer ohne Widerschein in der Dunkelheit ab. Zudem wurde ich den Eindruck nicht los, daß es kleiner geworden war.
Im Magen spürte ich den Druck. Er verteilte sich gleichmäßig nach allen Seiten. Mein Herz klopfte, der Schweiß lag auf meinem Gesicht und bedeckte auch die Stirn.
Ich atmete flach durch den offenen Mund und hatte das Gefühl, die Luft trinken zu können. Sie schmeckte nach - Staub und Kälte, kratzte im Hals, ich räusperte mich und vernahm vor mir die unwillige Stimme des alten, untoten Shaolin.
Er wollte Ruhe haben…
Zeit verstrich. Ob es eine Minute oder mehr war, konnte ich nicht sagen. Jedenfalls standen wir in der Finsternis, und ich hatte das Gefühl, als würde sie sich um mich herum verändern. Sie nahm an Dichte zu, sie war wie ein Druck, der sich immer stärker zusammenzog.
Plötzlich hörten wir das Singen!
Kein schöner Gesang im eigentlichen Sinne, mehr als Jammern, das aus hohen Tönen bestand. Jaulende Laute, die durch die Dunkelheit streiften, als würden sie nach etwas suchen und forschen.
Das Geräusch konnte nur der Shaolin ausgestoßen haben. Wahrscheinlich wollte er Dinge herbeilocken, vielleicht auch mit dem Geist des Drachengotts in Kontakt treten und ihm klarmachen, daß er sich auf dem Weg zu ihm befand.
Die Laute zeigten Erfolg.
Um uns herum geschah etwas.
Wo das genau war, erkannten wir nicht, aber in die Dunkelheit geriet, Bewegung.
Bewegung bedeutete in diesem Fall, daß sie an einigen Stellen erhellt wurde.
Ein geheimnisvolles Licht flackerte an verschiedenen Stellen auf. Grüner Feuerschein, der sich innerhalb des Berges inselhaft verteilte. An mehreren Stellen sahen wir das Feuer, dessen Arme in die Dunkelheit hineinzuckten, als wollten sie die Schwärze an sich reißen und die Inseln vergrößern.
Seltsamerweise schafften sie das nicht. Sie blieben auf einen gewissen. Umkreis begrenzt, ähnlich wie Augen, nur eben mit einem grünen Schein versehen.
Hatte sich der Drachengott gezeigt? So sehr ich mich auch anstrengte, eine Gestalt entdeckte ich nicht. Nur eben das grüne Feuer, das flackerte und tanzte.
»Was hat das zu bedeuten?« fragte ich Suko.
»Er hat Kontakt mit dem Götzen aufgenommen.«
»Und?«
»Ich weiß es nicht, John. Vielleicht soll das Feuer uns den Weg zeigen und uns davon überzeugen, daß der Drachengott uns unter Kontrolle hält. Das ist eben sein Reich.«
»Ja, das habe ich inzwischen schon festgestellt.«
»Es geht weiter!« wisperte Suko.
Das Feuer war ziemlich weit entfernt. Seine Ausläufer erreichten nicht den Rand der Stufen. Wir schritten nach wie vor tiefer in die Dunkelheit
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