0489 - Sie luden mich zum Morden ein
überall in riesigen Flächen stehende Wasser, der Wind, die vielen Bäume und Büsche, alles dies verfälschte den Schall.
Von meiner Stirn tropfte es. Regen. Oder Schweiß. Oder beides.
Für mich allein wäre es kein großes Problem gewesen. Ich hätte den Kampf aufgenommen. Aber der Kleine stand neben mir. Ritchie.
»Wer ist das, Jerry?« fragte er mit seiner hellen Stimme.
Ich kam nicht dazu, ihm eine Antwort zu geben.
»Jerry!« klang es aus dem Dunkeln.
Für den winzigen Augenblick einer Sekunde keimte eine wahnwitzige Hoffnung in mir auf.
»Ja!«
»Rühr dich nicht vom Fleck, Jerry! Nur ein Schritt und der Junge muß sterben. Du ermordest ihn dann! Verstanden?« befahl die fremde Stimme.
»Was willst du?« schrie ich in die Dunkelheit. Ich spürte das Zittern von Ritchies Hand in der meinen. Der Junge hatte Angst. Panische Angst.
»Den Jungen! Hast du verstanden? G-man? Den Jungen! Du rührst dich nicht vom Fleck! Aber der Junge... der Junge geht weiter!«
»Nein«, sagte ich, »der Junge bleibt bei mir!«
»Jerry«, höhnte die fremde Stimme, »willst du einen Mord begehen?«
»Was soll das Gerede?« stieß ich wütend hervor. Dieser Gangster schien einen sehr skurrilen Sinn für Humor zu haben.
Wieder klang die fremde Stimme eiskalt aus der Dunkelheit herüber: »Wenn du den Jungen nicht sofort frei gibst, bist du an seinem Tode schuldig. Du bist dann sein Mörder. Drei Minuten hast du Zeit. Überlege es dir! Länger warten wir nicht!«
Ich hatte eine Einladung zum Morden bekommen. Wenn ich den Jungen bei mir behielt, würde er sterben müssen. Ich wußte, daß mir gegenüber in der Dunkelheit irgendwo brutale und skrupellose Gangster gegenüberstanden. Aber ich wußte nicht, wie viele es waren. Ich kannte meine Gegner nicht.
Was würden sie machen, wenn sie den Jungen bekommen würden? — Mich erschießen? — Natürlich, aber darauf kam es jetzt nicht an. Was würde mit dem Jungen geschehen?
Sie hätten wieder eine Geisel. Sie konnten an das Geld herankommen.
Und ohne den Jungen?
Dann war ihr Plan gescheitert. Dann hatten sie nichts in den Händen, womit sie sich ihren Rückzug sichern konnten.
Nein, sie würden den Jungen nicht erschießen, wenn er bei mir blieb, sie konnten es einfach nicht riskieren. Vom Leben des Jungen hing ihre eigene Sicherheit ab.
Ich nahm meine 38er in die linke Hand und griff mit der Rechten fest nach dem kleinen Ritchie, der stumm neben mir stand. Verängstigt. Vermutlich kannte er die Stimme.
»Eins!« klang es aus der Dunkelheit.
Ich konzentrierte mich weiter auf die Stimme. Halblinks von mir stand er vermutlich.
»Zwei!«
Wir standen etwa drei Schritte von der Gartenhütte mit der zersplitterten Tür. Der Schuppen war zwar das genaue Gegenteil eines Atombunkers, aber auf jeden Fall besser als die freie Landschaft. Außerdem ersetzte die Bude den Regenmantel, den der kleine Ritchie nicht bei sich hatte.
»Paß auf, Ritchie«, sagte ich ganz leise.
»Drei!« zählte der Fremde in der Nacht.
Ich wirbelte den Jungen herum. Er schrie entsetzt auf, aber es gelang mir, ihn schnell durch die zersplitterte Tür in die Hütte zu schieben, ohne daß er irgendwo hängenblieb Mein Kopf hatte weniger Glück. Ich spürte einen stechenden Schmerz, und als ich an jene Stelle meiner Stirn griff, schmerzte es noch einmal. Warm lief das Blut über meine Finger. Ich hatte mir einen kapitalen Splitter in die Kopfhaut gerammt und mußte etwa wie ein Indianer aussehen, allerdings mit einer nicht farbenprächtigen Feder aus Holz.
Bevor ich dazu kam, mir den unwillkommenen Kopfschmuck herauszuziehen, war die Geduld meines unbekannten Gegners zu Ende.
Wütend bellte draußen eine Maschinenpistole auf. Die heißen Bienen summten böse durch die Nacht.
Und dann war es wieder still.
***
»Darf ich mal?« fragte Phil.
Mr. High nickte zustimmend.
Phil wählte die Nummer von Dockerful, unserem Printexperten. »Wie sieht es aus mit den Prints im Western Union Office?«
»Oh, Phil«, seufzte Dockerfui, »ich habe den Eindruck, daß sich ganz Manhattan in diesen Kabinen ein Stelldichein gegeben hat. Prints über Prints. Gute, schlechte, alte, neue, bekannte…«
»Bekannte?« fragte Phil schnell dazwischen.
»Ja«, seufzte Dockerful. »Unter anderem von einem gewissen Phil Decker, FBI-Beamter in New York, Formel…«
»Kenne ich«, sagte Phil. »Wie sieht es mit Jerrys Prints aus?«
»Könnte sein, aber ich übernehme keine Garantie dafür. Es ist ein Fragment ohne
Weitere Kostenlose Bücher