0489 - Sie luden mich zum Morden ein
du kein Feigling bist, wirst du nicht einen kleinen Jungen als Geisel benutzen. Klar?«
Mir verschlug es die Sprache. Ein Kidnapper, dessen Fängen das entführte Kind gerade entrissen worden war, bezeichnet den Mann als Feigling, der ihm die Beute entrissen hat. Spricht von dem kleinen Jungen als Geisel.
»Sie haben einen verdammten Humor, Jellow«, sagte ich.
»Warum?«
»Denken Sie an das, was Sie eben gesagt haben. Mit der Geisel. Und dem Feigling!«
»Stimmt doch, Cotton. Oder?«
Wider meinen Willen mußte ich spöttisch lachen.
»Den Jungen heraus. Meine Geduld geht zu Ende, Cotton! Wenn Sie tatsächlich ein solcher Feigling sind…«
»Geben Sie es auf, Jellow! Sie schaffen es nicht! Sie sind allein gegen mich, und die Chancen stehen 50:50. Sie können mich nicht sehen, aber ich habe Sie im Visier!«
»Mach keinen Quatsch!« sagte er. »Ich bin nicht allein!«
»Doch!«
»Bear!« brüllte er in den Regen. Von irgendwo antwortete eine Stimme. »Eine Salve in die Luft, aber nur kurz!« befahl Jellow.
Die Salve, die gleich darauf losratterte, traf mich wie ein Schlag in den Magen. Ich hatte wirklich gehofft, dieser Jellow sei allein. Jetzt wußte ich, daß mindestens ein zweiter Mann da war.
»Bin ich allein?« fragte er mit triumphierender Stimme. »Also, gib den Jungen heraus. Für dich ist dein Dienst heute zu Ende. Für immer. Du bist mir auf die Spur gekommen, du kennst meinen Namen, du weißt, was ich vorhabe. Du willst mich auf den Stuhl bringen. Deshalb mußt du sterben. Ich werde dich erschießen. Und wenn du schneller bist, wenn du mich noch umbringen kannst, dann wird mein Freund dich erschießen, du hast keine Chance mehr. Du hast nur noch die Wahl, ob du als Mann allein oder als Feigling zusammen mit dem Jungen sterben willst.«
Der kleine Ritchie konnte bestimmt nicht verstehen, was Jellow sprach. Vielleicht war es sein Instinkt. Plötzlich weinte das Kind nicht mehr. Ritchie klammerte sich nur an mich.
Unwillkürlich schloß ich für kurze Sekunden die Augen. Ich überlegte krampfhaft.
»Also«, sagte Jellow, »her mit dem Jungen!«
Meine Antwort entsprach einer eiskalten Überlegung, von der ich nur hoffen konnte, daß sie richtig war.
»Der Junge bleibt bei mir!«
***
»Boß!« sagte Budd Fletcher. »Boß, hör mal zu!«
»Kein Wunder, daß dieser Leone vor die Hunde gegangen ist«, sagte Check Taskfloot. »Wenn die Bullen ihn nicht geliefert hätten, dann wäre er wahrscheinlich an dir Nervensäge gestorben. Was willst du denn?«
Check Taskfloot, Boß einer neu aufgestellten Gang, die in Fachkreisen Genesendenkompanie genannt wurde, saß vor seinem riesigen Aquarium und beobachtete gespannt ein Geschwader Neonfische. Er konnte stundenlang so sitzen, denn er hatte Zeit. Die Genesendenkompanie bestand durchweg aus Gangstern, die durch den Tod ihres früheren Chefs oder wegen anderer widriger Umstände — die meist mit der Polizei zusammenhingen — stellungslos geworden waren. Taskfloot hingegen war gerade von einem bekannten Erholungsort unmittelbar an den Gestaden des Hudson nach New York zurückgekehrt. Der Aufenthalt hatte fünf Jahre, drei Monate, zwei Wochen und vier Tage gedauert. Der Name des Ortes ist weltbekannt, obwohl es von dort weder sinnige Souvenirs noch Ansichtskarten gibt: Sing-Sing.
Die Erholung hatte Taskfloot einem Bankboten zu verdanken. Der Gangster hatte vor etwas über sechs Jahren jenen Boten niedergeschlagen und ihm eine Tasche mit 21376,94 Dollar abgenommen. Zwei Stunden nach dem Überfall war Taskfloot vom FBI verhaftet worden. In seinen Taschen befanden sich 6.94 Dollar. Die restlichen 21370 wurden nie gefunden.
Sie konnten auch nie mehr gefunden werden, denn Taskfloot hatte sie erst nach seiner Entlassung aus Sing-Sing von seiner Schwester wieder abgeholt. Die Schwester war verheiratet, gutbürgerlich und der Polizei völlig unbekannt. Doreen verabscheute zwar den Beruf ihres großen Bruders, aber sie hatte ihm noch nie irgend eine seiner Bitten abschlagen können.
»Was machst du jetzt mit diesem Geld?« hatte sie nur gefragt.
»Ich werde mir eine anständige Existenz aufbauen«, war seine Antwort gewesen.
»Viel Glück dabei«, sagte Doreen.
»Kann ich gebrauchen, Schwesterlein«, hatte er gegrinst. Und Doreen wußte nicht, daß er sich mit dem Geld lediglich neu eingekleidet, mit Waffen ausgerüstet, mit einigen zwielichtigen Gangstern umgeben und eine Wohnung zugelegt hatte. Sie wußte nicht, daß seine neue Existenz darin bestand,
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