049 - Die Höhle der Untoten
Ungeheuers – sie dachte und fühlte auch mit seinem Hirn. Sie verstand jetzt, warum der Dreiäugige in diese Höhle verbannt worden war.
Jahrhunderte lag das alles zurück. Damals war das Scheusal ein schrecklicher Krieger gewesen, der die Herzen seiner Feinde verschlang, um noch stärker und mächtiger zu werden. Furcht und Schrecken hatte dieser Krieger verbreitet, bis er sich an einem Druiden vergriffen hatte. Die Strafe war fürchterlich ausgefallen. Das ehedem menschliche Ungeheuer war mit einem magischen Bann belegt worden. Lebendig eingeschlossen in der Höhle, sollte es für seine Taten bis in alle Ewigkeit büßen. Doch der so Verdammte konnte sich in dem unterirdischen Labyrinth frei bewegen. Die Rächer hatten ihm ein drittes Auge zugebilligt, damit er sich orientieren konnte. Vielleicht war es die Absicht der Druiden gewesen, ihn dadurch noch zusätzlich zu bestrafen. Der Verfluchte sollte stets wissen, wo er sich befand. Sie wollten ihm nicht die Gnade der Blindheit gewähren. Und sie ließen ihm eine vage Hoffnung, irgendwann einmal den Fluch wieder abschütteln zu können. In gewissen Zeitabständen konnte er etwas für seine Befreiung aus der Finsternis tun. Dann nämlich durfte der Dreiäugige Jagd auf Menschen machen, mit deren Gebeinen er den Brunnenschacht ausfüllen sollte. Würde es ihm gelingen, den Schacht zu füllen, dann durfte er in ein neues Leben zurückfinden.
Die Strafe der Druiden war ausgeklügelt. Bis in alle Ewigkeit hinein konnte der Dreiäugige diese Bedingung nicht erfüllen. Unergründlich war der Brunnenschacht. Doch dem Dreiäugigen blieb die Hoffnung und damit auch die Qual der Erwartung. Riesig groß waren die Zeiträume, die zwischen seinen Menschenjagden lagen. Und selbst dann hing alles noch von einem blinden Zufall ab. Erst ein Blitz konnte den Dreiäugigen kurzfristig wieder zum Leben erwecken. War diese Frist abgelaufen, musste er zurück in den Lehmhügel und dahindämmern. Eine schreckliche Existenz zwischen Hoffnung, grenzenloser Enttäuschung, zwischen Lebensgier und Verzweiflung. Die Druiden hatten diesen einstigen Krieger grausam bestraft.
Coco sah mit den Augen des Dreiäugigen. Er hatte sein Kurzschwert gezogen und winkte die willenlosen Frauen zu sich heran. Seine Absicht war klar. Er wollte sie der Reihe nach umbringen und in den Brunnenschacht stoßen. Diese Menschen sollten dazu dienen, den Schacht ein wenig mehr auszufüllen.
Coco hörte das scharfe Zischen des Schwertes.
»Hören Sie!«
Dorian blieb jäh stehen, hob warnend einen Arm. Von weither war ein monotoner Singsang zu vernehmen. Er wusste sofort, was das zu bedeuten hatte. Sie näherten sich der Höhle des Dreiäugigen. Dorian schritt noch schneller aus. Er hielt eine der Fackeln griffbereit in Händen. Der Gang weitete sich und endete vor einem kleinen See, dessen Wasser kristallklar war. Die beiden Männer schoben sich um eine Felswand herum und sahen den Dreiäugigen, der gerade eine Frau in einen Brunnen oder Schacht stieß.
Wo war Coco?
Sie stand ein wenig abseits von den übrigen Frauen, die monoton und feierlich sangen, die Worte formten, die Dorian nicht verstehen konnte. Der Dreiäugige winkte eine der Frauen zu sich heran. Bevor Dorian begriff, stach das Scheusal bereits zu. Die tödlich getroffene Frau gab keinen Ton von sich. Sie knickte in sich zusammen, wurde von den muskulösen Armen des Dreiäugigen aufgefangen und dann ebenfalls in den Schacht gestoßen.
Coco stand da und sah zu. Sie hatte Dorian den Rücken zugewandt, schien von seiner Anwesenheit nichts zu ahnen. Angst zeigte sie nicht. Sie sah ungerührt zu.
Die nächste Frau!
Gerd Stuefer, der sich neben Dorian aufgebaut hatte, reagierte automatisch. Er riss die Schusswaffe hoch und feuerte. Ohrenbetäubend war das vielfältige Echo in der riesigen Höhle. Das Scheusal, das gerade hatte zustoßen wollen, brüllte wie ein verwundetes Tier auf und ließ die Frau los. Es fasste nach seinem linken Oberschenkel, warf sich herum, suchte die Höhle ab.
»Bleiben Sie hier!«, schrie Dorian dem Taucher nach, der nur von dem einen Wunsch beseelt war, seinen Freund zu rächen.
Stuefer lief auf den Dreiäugigen zu und feuerte Schuss um Schuss auf das Ungeheuer ab, traf aber nur noch einmal – in der Aufregung vermochte er nicht exakt zielen. Der Dreiäugige hatte Stuefer ausgemacht, schleuderte die Frauen zur Seite und lief geschmeidig auf den Taucher zu. Er hatte das Kurzschwert weggeworfen und hielt seine mächtige
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