049 - Die Horror-Maschine
Schreibtisch, vor
sich eine aufgeklappte Akte. Ohne sich zu erheben, winkte der alternde
Mediziner seinen jungen Kollegen zu sich heran.
„Ich habe
eine Bitte an Sie, Tung“, sagte Mao Hshin und hob die Augen. Er trug eine
goldgefaßte Brille mit stark vergrößernden Gläsern. „Es geht um Tschiuu Lo.“
„Ich habe es
mir fast gedacht. Ich habe heute am späten Nachmittag noch mal einen Blick in
ihr Zimmer geworfen. Ihr Zustand hat sich weiterhin verschlimmert?“ Es war
etwas in der Stimme des jungen Tung, was man als zynisch hätte bezeichnen
können. Aber Mao Hshin war so in Gedanken versunken, daß er diese Feinheit
nicht bemerkte.
„Ich habe von
der ersten Stunde an die Behandlung sehr intensiv durchgeführt. Aber es
scheint, als ob sich alles ins Gegenteil verkehre.“ Mao Hshin zuckte die
Achseln. Er war mit seinem Latein am Ende.
„Ich habe ihr
heute abend ein noch stärkeres Beruhigungsmittel gegeben, Tung“, fuhr Mao Hshin
fort. Er schob die aufgeschlagene Akte zurück. „Aber das ist nicht der richtige
Weg. Ihre Angst nimmt zu. Ich stehe vor einem verschlossenen Tor, und es
gelingt mir nicht, dieses Tor aufzustoßen. Seit fünf Tagen kümmern wir uns um
die Patientin, Tung. Aber es tritt keine Besserung ein!
Ich habe
gerade eben Ihren heutigen Bericht gelesen, ich möchte, daß Sie in den nächsten
drei Tagen den Zustand von Tschiuu Lo stündlich kontrollieren und kurz eine
Niederschrift anfertigen. Ich habe ein von mir selbst entwickeltes Präparat
vorbereitet, das ich ihr morgen früh, nach Abklingen der Dämpfungskomponente
verabreichen werde.
Dummerweise
muß ich für die nächsten drei Tage nach Peking, um an der dortigen Universität
einen Gastvortrag zu halten, zu dem ich mich schon vor über einem viertel Jahr
verpflichtet habe.“
Lon Tung
nickte. In seinen dunklen Augen glühte kaltes Feuer. „Ich werde mein Bestes
tun, Professor. Ich freue mich über das Vertrauen, das Sie mir
entgegenbringen.“
Tung sah, daß
neben dem Tisch von Mao Hshin eine schwarze Ledertasche stand, in der einige
prallgefüllte Hefter steckten. Hshin gönnte sich keine Ruhepause. Er war
ständig auf Achse. Ein Arbeitstag von neunzehn Stunden war keine Seltenheit.
„Sie sind mit
dem Fall vertraut. Ich verlasse mich ganz auf Sie, Tung! Selbständiges Handeln
ist Ihnen eigen. Das ist ein Plus, das ich zu schätzen weiß.“
Mao Hshin sah
das verräterische Aufblitzen in Tungs Blick nicht, als er ihm die Akte mit dem
Fall Tschiuu Lo übergab. Hshin wäre mehr als entsetzt gewesen, hätte Long Tung
jetzt seinen Mund aufgemacht und erklärt, daß er sehr wohl wußte, weshalb der
Zustand Tschiuu Los sich trotz der besten Präparate und Behandlungsmethoden
weiter verschlimmerte.
Es war auf
das Wirken von Lon Tung persönlich zurückzuführen!
Der Mann mit
dem teuflischen Gehirn hatte sich eine furchtbare Marter ausgedacht. Vom ersten
Tag an hatte er regelmäßig dafür gesorgt, daß Tschiuu Lo aus ihrem Zimmer in
die Leichenhalle gebracht wurde. Er selbst hatte dieses makabre Spiel erdacht,
um ohne großes Aufsehen die Psyche der Patientin systematisch zu zermürben.
Was er tat,
hätte er auch mit entsprechenden Medikamenten hervorrufen können:
Halluzinationen bis zum Wahnsinn. Doch hier wäre er ein Risiko eingegangen. Er
mußte damit rechnen, daß Hshin bei seinen Blut- und Urinuntersuchungen und den
serologischen Tests auf Rückstände bestimmter Stoffe stieß, die sein Mißtrauen
weckten.
Tschiuu Lo
hatte seit ihrer Einlieferung in das Wai Ko-Hospital die unbarmherzige Angst
und das nackte Entsetzen kennengelernt. Sie sah bleich und gealtert aus, mit
tief eingefallenen Augen und hochstehenden, spitzen Backenknochen.
Sie fühlte,
wie der Wahnsinn sich langsam in ihr vorfraß, ihr Denken und Fühlen
beeinflußte, wie sie sich manchmal fragte, ob sie wachte oder träumte oder ganz
und gar schon tot war und diese Wahrnehmungen im Jenseits stattfanden.
Hshin und
Tung sprachen noch kurz über den Fall und verabschiedeten sich dann
voneinander. Hshin begleitete seinen jungen Kollegen bis zum Lift. Als Tung den
Knopf drückte, um den Aufzug kommen zu lassen, drehte er Hshin das Profil zu.
Der Professor sah den jungen Arzt eingehend an.
„Wenn ich Sie
sehe, werde ich immer an einen Mann erinnert, mit dem ich viele Jahre meines
Lebens in Peking in gemeinsamer Arbeit verbracht habe. Ein Besessener, ein
Wahnsinniger habe ich immer gesagt. Was er an Ideen
hatte, ließ einem eine Gänsehaut über den Rücken
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