0490 - Feuerschädel
würde hier ein ganz neuer Grabstein stehen, unter dem Bryont Saris nach 265 Lebensjahren seine letzte Ruhe fand.
Und damit mußte die Kette der Erbfolge endlich abreißen, die weit über 30 000 Jahre in die Vergangenheit reichte, bis in eine Zeit, in der es noch keine menschliche Geschichtsschreibung gegeben hatte. Es sollte keinen Saris ap Llewellyn mehr geben, auf dessen Grabstein eines Tages die Jahreszahlen 1993 - 2259 stehen würden!
Deshalb war Mhôrven jetzt hier. Deshalb stand er zwischen den Gräbern und begann mit einem seltsamen Ritual, das kein normaler Mensch jemals würde begreifen können, ohne darüber unweigerlich den Verstand zu verlieren!
Irgendwann war es vorbei, und Mhôrven entfernte sich wieder.
Wo er gestanden hatte, gab es keinen Schnee mehr. Nur noch eine glatte Fläche, als wäre der Boden hier verglast. Und mitten auf dieser glasigen, spiegelglatten Fläche schimmerte es rot im Mondlicht…
***
»Au!« entfuhr es William. Sein rechter Daumen, den er schon längst wieder vergessen hatte, schmerzte frisch, und als der Butler ihn sich ansah, tropfte Blut aus der Schnittwunde, die sich wieder geöffnet hatte.
Gestern abend hatte sie sich ziemlich schnell wieder geschlossen. Noch ehe Ulluquart mit einem Pflaster heraneilen konnte, hatte die Blutung aufgehört. Der Schnitt war dermaßen fein gewesen, daß William auf das Pflaster verzichtet hatte. Die Scherben des zersprungenen Wasserglases von Rhu Mhôrven hatte Ulluquart vom Tisch gefegt und weggeworfen. Und weil sich später nichts mehr am Daumen zeigte, hatte William überhaupt nicht mehr an die kleine Schnittwunde gedacht.
Aber jetzt hatte sie sich wieder geöffnet und blutete fast fünf Minuten lang, während William alles Mögliche versuchte, die Blutung zu stillen. Und dann hörte sie ohne seine Bemühungen ebenso schnell wieder auf wie am vergangenen Abend.
»Das soll mal ein normaler Mensch verstehen«, brummte der Butler. Diesmal nahm er die Verletzung nicht so leicht, sondern träufelte ein wenig Jod darauf, gab dabei ein erneutes »Au« von sich und verpflasterte die Stelle säuberlich. Gerade als er die Blutstropfen von Tischplatte und Linoleumbelag seines Zimmers wischen wollte, erklang die altertümliche Schelle und rief ihn zum Lord, der ihm einen Auftrag erteilte und sich über das breite Pflaster um Williams Daumen wunderte.
»Gestern Abend in Ulluquarts Pub unterlief mir ein kleines Mißgeschick, und ich schnitt mir den Daumen auf. Die Wunde öffnete sich jetzt wieder. Aber es ist alles in Ordnung«, versicherte William und entsann sich, bei seiner morgendlichen Erzählung von Mhôrvens Orakelspruch das zerspringende Glas und die Schnitt Verletzung einfach vergessen zu haben.
Warum er jetzt nicht hinzufügte, daß es Mhôrvens Glas gewesen war, an dem er sich geschnitten hatte, konnte er später auch nicht mehr sagen und war froh, als er sich wieder zurückziehen konnte, um in seinem Quartier aufzuwischen. Mittlerweile mußte das Blut ja schon festgetrocknet sein.
Aber eine Überraschung erwartete ihn. Er hatte noch nie davon gehört, daß es in Llewellyn Castle Kobolde gab, oder die aus Köln in Germany ausgewanderten Heinzelmännchen. Nirgendwo war auch nur mehr der Schatten eines Blutstropfen zu sehen. Alles war pieksauber.
»Habe ich das denn nur geträumt?« stieß William hervor, konnte sich aber nicht vorstellen, zwischendurch eingenickt zu sein. Nach wie vor gab es das Pflaster um seinen Daumen, und als er es vorsichtig wieder löste, sah er die durch das Jod hervorgerufene Hautverfärbung, die sich nicht so einfach abwaschen ließ.
Er klebte das Pflaster wieder an, und wunderte sich nicht einmal darüber, daß er über dieses seltsame Ereignis nicht mit Lord Saris sprach.
Auch an Rhu Mhôrven dachte er nicht mehr; nur noch an Professor Zamorra, der mit seinen Begleitern bald aufkreuzen mußte, denn dem Wetterbericht nach waren die Straßen von Glasgow bis zum Loch Ness herauf längst wieder frei. William freute sich darauf, den Professor und seine charmante Lebensgefährtin wiederzusehen. Was er von jenem Don Cristofero zu halten hatte, konnte er nicht sagen. Er hatte ihn bisher ja noch nicht kennengelernt.
***
Professor Zamorra hatte im letzten Moment noch umdisponiert. Sir Bryonts Warnung vor dem Winterwetter ließ ihm keine rechte Ruhe, also buchte er noch einen Regionalflug von Glasgow bis hinauf nach Inverness und bestellte beim Möbius-Konzern auch den Mercedes dorthin. Das war zwar
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