0490 - Feuerschädel
stattfand! Denn erstens sind Schwangerschaften niemals exakt gleich lang, und zweitens war auch ein Llewellyn nicht vor Attentaten gefeit. Was, wenn er ein paar Tage zu früh starb? Was, wenn die Frau aus irgendeinem Grund nicht schwanger wurde? Zamorra hatte dem Lord diese Frage einmal gestellt. Saris konnte darauf nur hilflos mit den Schultern zucken.
»Dann muß ich unbedingt so schnell wie möglich feststellen, ob meine Frau schwanger ist oder nicht, es noch einmal versuchen und eine Frühgeburt riskieren - oder, im verhängnisvollen Fall der Unfruchtbarkeit, mit einer anderen Patientin einig werden und dann möglicherweise ebenfalls eine Frühgeburt riskieren.«
»Für die betroffene Frau dann aber sicher nicht besonders angenehm, oder?« hatte Zamorra angemerkt.
»Ich würde es sehr bedauern. Aber, mein Sohn, ich hänge nun mal sehr an meinem nun schon so endlos langen Leben, und ich werde alles tun, um dieses mein Leben zu erhalten, beziehungsweise zu verlängern. Obgleich das sonst nicht meine Art ist, bin ich in diesem Fall skrupelloser Egoist.«
»Der damit möglicherweise das Lebensglück einer anderen Person zerstört.«
»Deshalb hoffe ich inständig, daß so etwas niemals geschieht«, hatte Saris traurig erwidert. »Immerhin hatte ich zweieinhalb Jahrhunderte Zeit, mich darauf vorzubereiten. Die Frau hat diese Zeit natürlich leider nicht. Aber ich kann lange vorher schon Strategien entwickeln, beobachten, eine Auswahl treffen, Kontakte knüpfen. Früher war das einfacher. Da waren Frauen noch rechtlose Geschöpfe. Man nahm sie - und das war’s dann. Jene frühen bis mittelalterlichen Kirchenfürsten, auf deren veralteten Dogmen auch heute noch herumgeritten wird, haben damals rechtzeitig dafür gesorgt, daß die Frau rechtlos wurde. Wußtest du, Zamorra, daß man früher felsenfest davon überzeugt war, daß Frauen keine Seelen haben? Zumindest das alles hat sich heute erfreulicherweise entschieden geändert.«
»Solche Worte von einem Feudalherrn, der lange mit jenen mittelalterlichen Mißständen lebte und von ihnen profitieren konnte?«
»Die Zeit verändert sich, warum soll sich nicht mit ihr auch ein Mensch verändern, der in ihr lebt? Eins, zwei, drei, im Sauseschritt - eilt die Zeit; wir eilen mit! hat der Dichter Wilhelm Busch geschrieben.«
Und jetzt saßen sie sich wieder gegenüber, und einmal mehr bedauerte Zamorra, daß ausgerechnet jetzt der Generationswechsel stattfand. Lord Saris, der Zamorra einmal adoptiert hatte, war ein echter Freund. Viel zu selten hatten sie sich gesehen, viel zu wenig Zeit miteinander verbracht. Und jetzt blieben nur noch ein paar Monate! Natürlich - danach würde es wieder einen Lord Saris ap Llewellyn geben. Aber der war ein Säugling, ein Kind! Selbst wenn er seine Erinnerung an seine früheren Leben zurückerhielt, würde er immer noch ein Kind oder Jugendlicher sein, und Zamorra könnte dann vom Altersunterschied her fast schon sein Großvater sein. Welten würden zwischen ihnen liegen.
Das ließ sich nicht so einfach verdrängen.
Zamorra sah wieder Lady Patricia an. Sie lächelte. »Professor, ich bin keine Telepathin, aber in Ihrem Gesicht lese ich wie in einem offenen Buch. Sie fragen sich, warum ich das alles auf mich nehme. Warum ich einen Mann geheiratet habe, der nur noch ein paar Monate für mich da sein kann und der stirbt, sobald ich seinen Sohn zur Welt bringe, um mich als alleinerziehende Mutter zurückzulassen. Warum tue ich das? Weil ich ihn liebe, Professor.«
Zamorra nickte langsam.
»Sein jetziger Körper wird sterben, und ich werde um ihn weinen und trauern. Aber seine Seele stirbt nicht«, sagte die junge Frau. »Sie lebt in seinem Sohn weiter. Ich bin jetzt mit Bryont Saris verbunden, und danach werde ich mit Rhett Saris verbunden sein. Und doch ist es derselbe Geist, derselbe Mensch. Ich verliere ihn doch nicht, Zamorra. Wir bleiben zusammen - bis ich eines Tages selbst sterbe, weil mir diese Art der Unsterblichkeit versagt bleibt.«
***
Nach Mitternacht schreckte Roy Thurso aus dem Schlaf auf. Lautlos erhob er sich aus dem Bett und verließ das eheliche Schlafzimmer, um ins Dachgeschoß hinauf zu steigen und die Luke zu öffnen. Eiskalt pfiff ihm der Wind um die Ohren und er begriff, daß er viel zu unzulänglich bekleidet war. Warum bin ich hier hinaufgestiegen? fragte er sich und kam sich vor wie ein Schlafwandler, der plötzlich irgendwo unterwegs aufwachte.
Er hatte, als er das Schlafzimmer verließ, nicht auf die
Weitere Kostenlose Bücher