0491 - Die Wolfshexe
Auto ist vorne lang, hinten lang und hat in der Mitte eine Erhöhung, damit man aufrecht drin sitzen kann. Und je länger vorn und hinten, desto Auto.«
»Prost«, murmelte Hervé. »In der Tat - ich denke, man kann darin einatmen, ohne daß einem gleich der Beifahrer quer unter der Nase hängt. Aber muß der Wagen wirklich den ganzen Parkplatz vorm Haus ausfüllen?«
»Vielleicht«, sagte einer der Gäste, der sich hinter Nicole und Hervé aufgebaut hatte, »hast du deinen Gästeparkplatz nur zu klein gebaut. Der reicht vielleicht für ’nen R 4 oder ’nen Clio, der für ’nen hochbeinigen ›Döschewo‹… aber die Dinger kannst du wohl getrost im Kofferraum dieser Rakete unterbringen, ohne daß es darin eng wird. Sagen Sie, Mademoiselle, was ist das für ein prachtvoller Wagen? Und wieviel Dutzend Liter Benzin verbraucht er auf hundert Meter? Verzeihen Sie, es ist nicht so spöttisch gemeint, wie es klingt; ich interessiere mich wirklich ernsthaft für den Wagen. Selbstverständlich auch für Sie, verehrte Mademoiselle. Aber ich bin unhöflich, ich vergaß mich vorzustellen. Pardon, ich bin Lenard Cinan, stets zu Ihren Diensten, Mademoiselle. Darf ich Sie…«
Hervé schob ihn zurück. »Du halt deinen Rüssel, Lenard. Dein kümmerliches Leben verdankst du ohnehin nur der vorgestrigen Lokalrunde, und ich zweifele, daß du reich genug bist, zweimal in einer Woche die häßliche Runkel zu retten, die du seltsamerweise deinen Kopf nennst. Monsieur Guillotine, der Erfinder des abnehmbaren Kopfes, wetzt schon das große Hackebeilchen!«
»He, das sind ja rauhe Sitten hier«, schmunzelte Nicole.
»Er meint das nicht so«, beschwichtigte Cinan. »Er ist eben ein ungehobelter Klotz, der nicht weiß, wie er sich einer Dame gegenüber zu benehmen hat. Wer nichts wird, wird Wirt. Wer gar nichts wird, wird Bahnhofswirt…«
»Wo ist denn hier ein Bahnhof, du Nappsülzer?« polterte Hervé. »Und laß gefälligst die Flçssen von der Dame. Schließlich bist du verheiratet.«
»Aber schon seit achtzehn Jahren mit derselben Frau!« protestierte Cinan. »Gestatten Sie, schöne Mademoiselle, daß ich Sie zu einem Fruchtwein einlade? Wir könnten uns über dieses wunderschöne Auto unterhalten, das hoffentlich Ihnen gehört und nicht diesem geschniegelten Herrn in Ihrer Begleitung. Hervé, einen Fruchtwein für die Dame auf meine Rechnung, und wenn du mir gleich noch mal was von Doktor Guillotine erzählen willst, du Geschichtsbanause, laß dir sagen, daß der alte Knabe schon so lange tot ist, daß sogar die Würmer verhungert sind, die von ihm zehrten. Der wetzt ganz bestimmt kein Hackebeilchen mehr.«
Nicole stöhnte auf und hoffte, daß Zamorra bald wieder hereinkam. So eine aufdringliche- Nervensäge wie dieser Lenard Cinan hatte ihr nach der langen Fahrt gerade noch gefehlt. Vielleicht hätten sie doch besser ein Hotel in Lannilis belegen, als hierher weiterfahren sollen.
Cinan begutachtete hingebungsvoll die Motivstickerei auf ihrem Pullover. »Sie mögen Krokodile, Mademoiselle?«
Nicole seufzte; Old Sam fiel ihr ein, der Alligator, der in der Nähe von Tendyke’s Home in Florida herumstrolchte, mit der Bevölkerung gut Freund war und sich füttern ließ -zuweilen erkletterte er auch mal ein offenes Cabrio und sonnte sich darin, sehr zum Entsetzen der ahnungslosen Touristen, die den Wagen frisch in Miami gemietet hatten und befürchteten, Old Sam werde sie verspeisen, sobald sie dem Wagen näher kamen. Als habe der alte Alligator einen Vertrag mit den Wirten, pflegte er diese Art der tierischen Unterhaltungskunst vorzugsweise in der Nähe von Lokalen, in die die entsetzten Fremden flüchteten und natürlich auch ein bißchen tranken und aßen, bis Old Sam geruhte, seinen Platz wieder zu räumen.
Allerdings war der steinalte, über acht Meter lange Bursche auch eine Ausnahme. Andere Alligatoren waren weitaus weniger menschenfreundlich. Indessen wagten sie sich auch nur in den seltensten Fällen in die Nähe menschlicher Behausungen. Die schuppigen Relikte der Urzeit hatten sehr wohl gelernt, daß großkalibrige Gewehre tödlich waren…
»Manchmal schon«, sagte Nicole. »Aber nur, wenn die Krokos mich ihrerseits nicht zum Fressen gern haben.«
»Sie kennen sich also mit diesen Reptilien aus?« hakte Cinan ernsthaft nach. Nicole runzelte die Stirn. »Eigentlich nicht so sehr. Warum?«
»Wir haben da ein Problem«, stellte Cinan tiefsinnig fest; Hervé holte tief Luft.
»Und das wäre?« wollte Nicole
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