0491 - Die Wolfshexe
wissen.
»Nun, wenn Sie sich mit Krokodilen einigermaßen auskennen würden, könnten Sie uns vielleicht helfen, dieses Problem zu lösen. Es ist wirklich etwas heikel«, druckste Cinan; Hervé holte mit dem ausgestreckten Arm und der geballten Faust aus.
»Es ist nämlich so, Mademoiselle«, sagte Cinan. »Hervé will unter allen Umständen ein Krokodil heiraten, und nun weiß hier niemand, ob das geht. Denn für eine kirchliche Trauung müßte es katholisch sein, und bei einer standesamtlichen müßte es immerhin wenigstens schreiben können.«
Vorsichtshalber war er dabei soweit zurückgewichen, daß Hervés heranfliegende fünffingrige Baggerschaufel ihn nicht mehr erreichte. Die anderen Gäste lauschten dem Disput erheitert und angeregt. »Ich drehe dem Vogel den Hals um!« tobte Hervé. »Der kommt in die Suppe! Ich mache ihn zu Hundefutter! Frittieren werde ich den Haderlumpen! Vierteilen und den Schweinen zum Fraß vorwerfen werde ich ihn! Diesmal rettet dich auch keine Lokalrunde mehr, du räudige Ratte! Ich amputiere dir den linken großen Zeh bis zum Hals!« Mit kreisenden Armen wie Windmühlenflügel wetzte er hinter Cinan her, der eine Slalomflucht zwischen den Tischen hindurch angetreten hatte.
»Hören Sie, Mademoiselle«, rief Cinan hastig. »Wenn Sie etwas über religiöse Zugehörigkeiten von Krokodilen wissen, dann… es ist wichtig! Ich verstehe zwar nicht, warum ein so unglück- äh, glücklich verheirateter Mann unbedingt zusätzlich noch ein Krokodil ehelichen will, aber…«
»Du linksseitig amputierte, violett-metallic gefleckte Schakalstechfliege!« tobte Hervé. »Wirst du wohl endlich mit diesem Blödsinn aufhören? Oder muß ich dich wirklich erst in Streifen schneiden, flambieren und den Schlangen vorwerfen?«
»Wenn schon, dann den Krokodilen, die wissen mich mehr zu schätzen«, entfuhr es Cinan. »Aber nur, wenn du genug Senf hast, um mich zu würzen! He, warte mal, Hervé. Wieso violett-metallic gefleckt?«
Hervé blieb überrascht stehen und kratzte sich am Kopf. »Linksseitig amputierte Schakalstechfliegen sind immer violettmetallic gefleckt, du Kulturbanause!« knurrte er. »Das weiß doch jedes Kind!«
»Na ja, ich bin eben kein Kind mehr. Woher also soll ich’s wissen?« brummte Cinan.
Nicole schüttelte den Kopf. »Ist das hier eigentlich eine bretonische Gastwirtschaft oder ein Narrenhaus?«
»Ja«, erklärten Cinan und der Wirt einmütig. Hervé fuhr fort: »Ich und der Präsident der Republik haben soeben ein Gesetz beschlossen, das lautet: Die Freigetränke für Sie, Mademoiselle, und für Monsieur Zamorra, gehen heute nicht auf Kosten des Hauses, sondern auf Kosten Lenard Cinans. Strafe muß sein. Langen Sie kräftig zu; meine Vorräte sind schier unerschöpflich.«
»He, das ist kein gutes Gesetz, Mann!« protestierte Cinan. »Ich werde eine Volksfront dagegen mobilisieren.«
»Solange die nicht aus Krokodilen besteht…«, ächzte der Wirt. Verzweifelt sah er Nicole an. »Bitte, Mademoiselle, verstehen Sie das alles nicht falsch. Normalerweise geht es hier gesittet zu. Aber seit ein paar Tagen reitet der Teufel diesen Piratenabkömmling. Vielleicht hat seine Frau ihm was Falsches in den Tee getan.«
»Das kann mir höchstens in diesem Saftladen untergemischt worden sein«, protestierte Cinan. »Meine Frau wüßte überhaupt nicht, woher sie das Gift nehmen sollte.«
»In eurem Garten wächst Schirling und Fingerhut, habe ich kürzlich gesehen«, brummte einer der anderen Gäste.
Mittlerweile tauchte Zamorra wieder auf; sein Erscheinen unterbrach das Geplänkel endlich. Nicole atmete hörbar auf und signalisierte Zamorra mit Blickkontakten, daß er sich möglichst zwischen Cinan und sie postieren möge. In der Tat schien das Cinan nicht sonderlich zu gefallen, aber so despektierlich er vorhin über Zamorra geredet hatte, so zurückhaltend war er jetzt plötzlich. Offenbar hatte er trotz der Anzugjacke bemerkt, welche trainierten Muskeln sich an Zamorras Armen befanden. Außerdem hatte er möglicherweise jetzt seinen Spaß gehabt und wollte sich ausruhen. Also unternahm er keine Anstrengungen mehr, sich Nicole aufzudrängen.
Die stieg nach dem zweiten Fruchtwein auf alkoholfreie Getränke um; Zamorra war ähnlich zurückhaltend. Sie wollten beide einen möglichst klaren Kopf behalten.
»Den Endziffern Ihres Autokennzeichens nach kommen Sie aus der Gegend um Lyon«, stellte der Wirt nach einer Weile fest. »Was treibt zwei relativ junge Menschen wie Sie
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