0492 - Dem Henker gestohlen
ohne zu zielen. Und ich traf. Der Mann mit der Gasmaske warf in hohem Bogen die Maschinenpistole von sich und machte direkt einen Luftsprung, wobei er sich die linke Hand auf sein rechtes Schlüsselbein preßte.
Er war waffenlos.
Die anderen Männer im Lokal schienen nur auf diesen Moment gewartet zu haben. Einer warf sich sofort gegen die Tür, die ins Freie führte. Ich konnte es verstehen. Die Luft im Lokal war milchig-trüb. Der Mann mit der Gasmaske hatte offensichtlich seine Zechgenossen mit Waffengewalt daran gehindert, sich zu ergeben.
Jetzt taumelten sie auf die Straße.
Kein Schuß brauchte mehr zu fallen. Unsere Männer konnten sie auflesen wie Falläpfel nach einem Gewittersturm im Herbst.
Ich nahm den Mann mit der Gasmaske auf den Arm und trug ihn hinaus. Ein Uniformierter nahm ihn mir ab.
»Jerry!«
Ich riß mir die Gasmaske vom Gesicht und drehte mich um. »Oh, Mr. High…«
»Wie kamen Sie in das Lokal, Jerry?«
»Durch die Bierklappe, Chef!«
»Haben Sie die Klappe offenstehen lassen?« fragte er mich ernst.
»Ja…«
Er winkte mir und ging mir voran in die Durchfahrt. Jetzt war alles wieder strahlend hell, denn Hywood hatte die Flutlichter wieder einschalten lassen.
Mr. High blieb vor der Klappe stehen und deutete auf die Wand. Ein Schild hing dort. »Dieser Schacht muß stets geschlossen sein, wenn keine Aufsichtsperson anwesend ist! Zuwiderhandelnde werden bestraft!«
»Merken Sie sich das, Jerry!« sagte Mr. High ernst. »Beinahe wäre ich hineingefallen.«
»Sorry«, murmelte ich.
Er klopfte mir auf die Schulter. »Nicht so schlimm, Jerry. Ich habe das Gefühl, daß Sie beinahe nicht mehr herausgekommen wären. Haben wir es ietzt’«
»Ich hoffe es…«
***
Kurz vor drei Uhr morgens glich unser Distriktgebäude einem Bienenhaus. Alles war taghell erleuchtet, und über die Gänge hasteten G-men, Kriminalbeamte, Uniformierte, Zeugen, Festgenommene und natürlich auch Reporter.
Wir saßen in den Vernehmungszimmern und schwitzten. Ein Verhör jagte das andere.
Um halb vier hatten wir das Geständnis von Jonathan Hecker, dem Gastwirt der übelbeleumdeten Bierstube in der 34. Straße. Hecker war mit dem jungen Heymes losgefahren, angeblich, um ihn zu seinem großen Boß zu bringen. Die Fahrt endete auf Pier 70. Hecker wollte das Geschäft mit der Liste allein machen.
Die Liste hatte er in der Tasche. Wir stellten sie sicher.
Aber wir mußten auch die Tatsache als sicher hinnehmen, daß Hecker bis zum Abend vorher nichts von der Liste gewußt hatte.
Um vier Uhr hatten wir den alten Taylor bei uns, den nunmehrigen Besitzer des Wagens, der vorher Pedro Gonzales, dem Gangsterboß, gehört hatte. Zwanzig Minuten später mußten wir ihn wieder laufenlassen. Es war tatsächlich nur ein leicht durchgedrehter Sammler von Dingen, die bei Verbrechen eine Rolle gespielt hatten. Von der Liste wußte er nichts. Allerdings wollte er sie uns abkaufen. Ich verwies ihn an die zuständige Eisenbahngesellschaft.
Um halb fünf begann das Einzelverhör aller Angehöriger der Yogger-Gang. Den Wirt Hobleman ließ ich gleich noch dazuholen.
»Wir haben die Liste«, sagte ich jedem einzelnen der Gang, »also, jetzt heraus mit der Sprache.«
Keiner rückte damit heraus. Beziehungsweise — keiner wußte etwas. Yogger selbst kam als letzter an die Reihe.
»Also, Yogger — hier ist die Liste, die Gonzales in seinem Wagen hatte. Deshalb ist doch Touchney von den falschen Zeugen herausgeredet worden, deshalb haben Sie doch Jagd auf Touchney gemacht. Oder?«
»Darf ich mal sehen?« fragte er.
Ich hielt ihm die Liste hin, daß er sie genau betrachten konnte.
»Verdammt«, sagte er, »das hätte ich wissen sollen! Ich habe aber nichts davon gewußt.«
»Was haben Sie gewußt?« fragte ich.
»Ich habe nur gewußt, daß Touchney mit seinem Mord an Gonzales dem Unbekannten einen bösen Streich gespielt hat. Gonzales sollte ein großes Ding vorbereiten, aber Touchney hat es kaputt gemacht. Deshalb sollte er fertiggemacht werden.«
Ich glaubte Yogger. Es stand ja fest, daß die Liste jetzt noch, Monate später, in Gonzales' ehemaligem Wagen steckte. In den Polstern. Dort hatte Gonzales sie vermutlich selbst versteckt.
»Wer sind die acht falschen Zeugen, Yogger?« fragte ich noch.
»Keine Ahnung. Das weiß nur der Unbekannte!«
Ich ließ den Gangsterboß abführen, genauso wie seine Leute vorher.
Um 5.15 Uhr ging ich müde und zerschlagen zu Mr. High hinüber. Staatsanwalt Intosh saß bei ihm. Beide
Weitere Kostenlose Bücher