0492 - Die Wölfin von Rom
erfahren, was auf Sie zukommen wird. Wenn Sie sich auf dem Campo bewegen, werden Sie aufpassen müssen. Vielleicht finden Sie das Vertrauen der Menschen. Wenn nicht…?«
Er hob die Schultern. »Grämen Sie sich nicht, daran sind schon andere gescheitert, vor allen Dingen Neapolitaner, die das große Wort führen wollten. Sie werden Rom entweder lieben oder hassen, tot sein oder leben, das sind die Alternativen, die ich Ihnen bieten kann.« Er lächelte mich an. »Hätten Sie nicht einen so guten Ruf bei uns, Signor Sinclair, wir hätten uns auf diesen Handel gar nicht eingelassen, und mit den Wölfen wären wir auch schon fertig geworden. Irgendwann, wissen Sie…«
»Möglicherweise wäre es für den Jungen zu spät gewesen.«
Savini nickte traurig. »Das stimmt leider. Wir haben hier in Italien Erfahrungen mit Entführungen, aber wir lieben unsere Kinder. Sie sind die kleinen Götter in Rom, das werden Sie noch merken. Es kann sein, daß man Ihnen deshalb hilft.«
»Ich möchte allerdings meine Tarnung nicht aufgeben«, erklärte ich. »Wie stehen die Menschen aus dem Viertel den Polizisten gegenüber?«
»Sehr kritisch. Der Römer ist Individualist. Er mag keine staatliche Kontrolle.« Savini warf das Lineal jetzt hoch und fing es wieder auf. »Außerdem ist da noch etwas. Die Sache mit Ihrem Hund.«
»Es ist eine Wölfin!«
»Noch schlimmer, aber sagen Sie den Leuten nur, daß Sie einen Hund haben, mehr nicht.«
»Gut.«
»Sie werden auffallen, Signor Sinclair. Man wird auf Sie schauen. Wer läuft schon mit einem Hund durch das Viertel? Niemand, kein Mensch, wissen Sie.«
»Dann bin ich eben der einzige.«
»Ja, hoffentlich akzeptiert man das!«
»Ist mein Problem. Wie sieht es mit dem Zimmer aus?«
»Das bekommen Sie. Die Witwe Marcella ist verschwiegen. Sie stellte nicht viele Fragen. Ihr Sohn ist auch bei der Polizei, allerdings bei der Terrorbekämpfung. Sie liebt Polizisten oder Leute, die wir ihr ans Herz legen.«
»Das ist schon beruhigend. Ich hätte noch eine Frage, Commissario. Wie sieht es mit der Mafia aus? Kann ich denen in die Quere kommen?«
Savini verzog die Mundwinkel und legte seine Stirn in ärgerliche Falten. »Was ihr Nordeuropäer immer mit der Mafia habt. Gibt es sie überhaupt?« Er grinste dabei breit. »Wenn ja, wird man sich um Sie nicht kümmern. Außerdem ist Rom nicht Neapel. Dort hätten sie achtgeben müssen.«
»Ich kenne die Stadt.«
»Sie ist in den letzten Tagen noch schlimmer geworden, seit Neapel italienischer Fußball-Meister wurde. Da kocht die Stadt über, schlimm.«
»Rom ist auch nicht zu verachten.«
»Si – aber wir haben Stil.«
Er hatte das so überzeugend gesagt, daß ich nicht widersprechen wollte. Außerdem stand er auf. »Ich glaube, es ist alles Wichtige gesagt worden«, erklärte er.
»Und wie erreiche ich Sie?«
»Die Witwe Marcella hat Telefon.« Er gab mir ein Kärtchen. »Bewahren Sie es gut auf. Darauf steht meine Nummer.«
»Danke.«
Wir gingen zur Tür. »Ich bringe Sie zum Wagen, Signor Sinclair. Mit den Beamten komme ich schon klar.«
»Das wäre nett.«
Jemand hat mal geschrieben, daß Rom erst gegen acht oder halb neun erwacht. Der hatte aber nicht an das Campo di Fiori gedacht.
Es gibt berühmtere und prächtigere Plätze in der Ewigen Stadt, doch keiner ist so lebendig wie der Campo di Fiori, wo einst die katholische Kirche ihre Ketzer tötete.
Nirgendwo haben Handwerker und Händler ihre Traditionen so über die Zeit gerettet wie in diesen kleinen, oft lichtlosen Gassen drumherum. Und hier schlägt das wahre Herz von Rom.
Hier wollte ich auch die Wölfe jagen. Ob es Werwölfe waren, konnte ich nicht sagen, und ich dachte auch jetzt darüber nach, wer Johnny entführt hatte.
Wäre Lupina nicht vernichtet worden, hätte ich sie in Verdacht gehabt. Das aber konnte nicht sein.
Savini fuhr einen lackschwarzen Lancia. Als wir beide an den Wagen herantraten, richtete sich im Fond ein Schatten auf, der allmählich Gestalt annahm.
Die Wölfin Nadine!
Savini schluckte, als er das Tier mit der menschlichen Seele und den ebenfalls menschlichen Augen sah. »Ehrlich, Sinclair, auf der Fahrt hierher saß mir die Angst im Nacken.«
»Sie hätte Ihnen nie etwas getan«, erwiderte ich.
»Kennen Sie das Tier so gut?« fragte er.
»Noch besser.«
Savini hob die Schultern und stieg ein, nicht ohne zuvor einen mißtrauischen Blick in den Fond geworfen zu haben. Ich hockte mich auf den Beifahrersitz, hörte hinter mir das Hecheln
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