0492 - Die Wölfin von Rom
diese Straße hier.«
»Tatsächlich?«
»Wenn ich es dir sage.«
Der Carabinieri schüttelte den Kopf. »Wahrscheinlich hattest du wieder deinen Rotwein getrunken, du Schluckspecht.«
»Das hat damit nichts zu tun.« Causio beugte sich so weit aus dem Fenster, daß Gibli schon Angst um ihn bekam. Der Alte deutete die Straße hoch. »Da ist er hingelaufen.«
»Und er hat nicht geheult?«
»Nein.«
»Wo kann er denn sein?«
»Vielleicht bei deiner Julietta. Ich würde schnell hinlaufen und nachsehen.«
Gibli ballte die Rechte zur Faust und hob den Arm. »Hör auf, du Schwätzer, sonst ziehe ich dich aus dem Fenster.«
»Spar dir deine Kräfte für Julietta und die anderen.«
Gibli ging kopfschüttelnd weiter. Er hörte noch, wie das Fenster hart zugeschlagen wurde. Danach umgab ihn wieder die Stille, in der nur seine eigenen Schritte aufklangen.
Mitternacht!
Die alte Glocke im Kirchturm bimmelte schwach. Es war ein unheimlicher Klang, der über die Dächer wehte und sich in der Nacht über Rom allmählich verlor.
Gibli blieb stehen. Unwillkürlich warf er einen Blick hoch zum Mond, der sich noch immer hinter den dünnen Wolkenschwaden versteckt hielt. War das ihre Zeit?
Auch er hatte das Heulen schon vernommen. Es war von den Bergen geklungen und niemand wußte so recht, ob es tatsächlich Wölfe waren, die das Heulen ausstießen.
Doch jetzt blieb es ruhig. Auch als eine Minute verstrichen war, hatte er noch nichts gehört. Er hob die Schultern, drehte sich wieder um – und vernahm es.
Der Carabiniere blieb auf der Stelle stehen. Er spürte die Gänsehaut, die sich über seinen Rücken bewegte. Sie zog im Nacken das Fleisch stramm. Er hatte dieses Heulen noch nie aus dieser unmittelbaren Nähe vernommen, und er glaubte, daß das Tier ganz in der Nähe sein mußte.
Es waren klagende, unheimliche, gleichzeitig auch aggressive Laute, die über die Dächer hallten und auch in die engen Straßen drangen, wo sie Echos warfen, bevor sie gegen den nächtlichen Himmel wehten, um sich dort zu verflüchtigen.
Nicht nur ein Wolf hatte geheult. Ihm waren die unterschiedlichen Tonarten aufgefallen, und er wartete darauf, daß es sich wiederholte. Es geschah nichts.
Die Stille blieb. Gibli glaubte fest daran, daß diese üblen Laute gehört worden waren, aber keiner der Anwohner öffnete ein Fenster oder eine Tür, um nachzuschauen.
Zu tief saß die Angst…
Auch Gibli schluckte. Er war nicht bewaffnet, doch jetzt wünschte er sich seine Dienstpistole herbei. Vorsichtig drehte er sich um und befand sich noch in der Bewegung, als er das leise Tappen hörte.
Hinter ihm!
Der Polizist schnellte herum. Seine Hand fuhr zum Schlagstock, als er den Schatten sah.
Ein gewaltiges Tier stieß sich von der anderen Straßenseite ab und sprang ihn an.
Ein Hund?
Während Gibli zurücktaumelte, dachte er darüber nach. Nein, dieses Tier war größer als ein Hund. Das mußte einer der Wölfe sein, die sie bisher nur gehört, aber nie gesehen hatten.
Er riß seinen Arm hoch, um das Gesicht zu schützen, prallte mit der Schulter auf, spürte einen bösen Schmerz im Knochen, rollte sich auf der staubigen Straße herum und sah, daß der Schatten davonhetzte. Er hielt sich dicht an der Häuserzeile, huschte an einem Laternenpfahl vorbei und war verschwunden.
Gibli ballte vor Zorn die Hände, als er er sich wieder aufrichtete.
Verdammt, jetzt hatte er den Wolf gesehen und hatte keine Schußwaffe dabei. Er überlegte, ob er zurücklaufen sollte, als er ein anderes Geräusch hörte. Es waren eigentlich zwei Laute, die sich miteinander mischten.
Ein helles Klirren und gleichzeitig das dumpfe Platzen. Beide entstanden, wenn eine Fensterscheibe brach.
Gibli wußte die Richtung, es war ihm nur unbekannt, in welches Haus der Wolf möglicherweise eingedrungen war.
Vielleicht dort, wo Julietta wohnte?
Plötzlich rann es ihm kalt den Nacken hinab. Ja, das konnte durchaus sein, und seine Schritte wurden zu langen Sätzen, als er daran dachte.
Julietta in den Fängen eines solchen Tieres. Dies durfte auf keinen Fall geschehen.
Er hatte das Haus noch nicht erreicht, als er die ersten Schreie hörte, die ihn tief trafen und durch ein zerstörtes Fenster drangen.
»Julietta!« brüllte der Polizist. Er hatte nur noch ein paar Meter zurückzulegen, tauchte in die dunkle Nische vor der Tür, hatte zuvor noch Anlauf genommen und warf sich gegen das Holz. Er schonte dabei seine verletzte Schulter, hämmerte mit der anderen dagegen und
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