0493 - Janes Umkehr
man gern.«
»Tut mir leid, aber für eine Tasse von deinem Supergetränk habe ich immer Zeit.«
Ich rauchte dabei noch eine Zigarette, was mir mißbilligende Blicke der beiden Nichtraucher einbrachte. Danach zog ich endlich ab, mit einem Gefühl der inneren Unruhe. Ich dachte darüber nach und gelangte zu dem Schluß, daß ich eigentlich schon zuviel Zeit verloren hatte.
Unten in der Eingangshalle fing mich der Kollege vom Empfang ab. »Mr. Sinclair!« rief er und wedelte mit einem Umschlag. »Hier ist ein Brief für Sie abgegeben worden.«
»Von wem?«
»Es war ein Bote.«
»Sie haben ihn untersucht?«
»Natürlich. Keine Bombe - nichts. Das Ding ist harmlos.« Er streckte ihn mir entgegen.
Ich steckte ihn ein und öffnete den Umschlagspäter im Wagen. Einen Absender hatte ich nicht entdecken können, was mich schon mißtrauisch gemacht hatte.
Bevor ich das erste Wort gelesen hatte, erkannte ich an der Schrift, daß der Brief von Jane Collins stammte. Plötzlich klopfte mein Herz schneller. Ich las nicht still, sondern mit halblauter Stimme.
»Lieber John, es tut mir in der Seele weh, daß ich diesen Brief schreiben mußte, aber es gab für mich keine andere Möglichkeit, und ich hoffe, daß Du mein Handeln verstehen wirst. Du weißt selbst, daß ich mich bei Lady Sarah und bei euch sehr wohl gefühlt habe, aber ich kenne auch meine eigene Vergangenheit, die immer bereit ist, durch welche Manipulationen auch immer, mich einzuholen. Das ist nun geschehen. Der Druck in den letzten Wochen verstärkte sich. Man will mich haben, und man hat gewonnen. So muß ich Dir mitteilen, daß die andere Seite endgültig gewonnen hat, John. Ich möchte mich mit diesen Zeilen von Dir endgültig verabschieden, so schwer mir dies auch fällt. Ich bin wieder umgekehrt. Es tut mir sehr leid um uns beide, Venedig war noch einmal schön gewesen, aber Du kannst nun mit Glenda glücklich werden. Ich werde euch nicht mehr dabei im Wege stehen. Denke hin und wieder an mich, denn ich habe Dich wirklich geliebt, John. Deine Jane…«
Meine Hand sank nach unten, der Mund war plötzlich trocken, und ich blieb sitzen, wobei die Umrisse des Briefes vor meinen Augen verschwammen.
War das tatsächlich das Ende der Beziehungen zwischen uns beiden? Alles deutete darauf hin…
***
Der Taxifahrer kannte Lady Sarah und hatte von seiner Familie erzählt, die der Horror-Oma ebenfalls während zurückliegender gemeinsamer Fahrten durch die Berichte des Mannes bekannt war.
Überhaupt kam Lady Sarah mit den Taxifahrern gut aus. Seit sie Jane einen Wagen gekauft hatte, waren die Fahrten seltener geworden, hin und wieder aber brauchte Sarah den Geruch dieser alten Vehikel, die etwas Nostalgisches an sich hatten.
Sie hatte sich in die Sloane Street fahren lassen, wo es die exklusiven Geschäfte gab, die von betuchten Londonern und finanziell gut gestellten Touristen besucht wurden.
Sarah Goldwyn suchte einen bestimmten Gegenstand. Ein wunderbares Kaschmirtuch, das sie vor einigen Tagen im Vorbeifahren in einer Auslage entdeckt hatte.
Sie wollte es nicht nur einmal kaufen, auch Jane sollte ein Tuch erhalten. Es war im Preis herabgesetzt worden, fast um die Hälfte reduziert, denn Winterwaren ließen sich im Mai kaum mehr verkaufen.
Lady Sarah ließ den Fahrer ein Stück vor dem Laden halten. Sie wollte noch einige Schritte zu Fuß gehen.
»Soll ich Sie auch wieder abholen, Mrs. Goldwyn?« fragte der Mann.
»Das ist sehr nett, aber ich kann Ihnen leider keine Zeit sagen, wann ich mit dem Bummel fertig bin.«
»Ja, das kenne ich von meiner Frau.«
Die Horror-Oma zahlte die Rechnung und gab, wie immer, ein gutes Trinkgeld.
Der Driver öffnete ihr die Tür, half ihr aus dem Wagen, was Sarah nicht wollte. »Ich bin doch keine alte Frau!« protestierte sie.
»Es war auch nur höflich gemeint.«
»Das ist gut, Frank, dann bin ich zufrieden.« Sie lächelte und betrat den Gehsteig.
Der Fahrer winkte noch einmal und ließ den Wagen anrollen. Diese Fahrgäste wünschte er sich öfter.
Lady Sarah aber fühlte sich wohl. Sie stand inmitten des Trubels und genoß ihn zunächst einmal.
London im Mai, das konnte herrlich sein. Auch heute war so ein Tag. Am Morgen hatte es noch mies ausgesehen, doch jetzt, am Nachmittag, war die Sonne durchgekommen. Sie strahlte in die Londoner Straßen und auch in die Herzen der Passanten, denn Lady Sarah sah keine sauren oder verkniffenen Gesichter. Selbst Londoner, die sonst nur mit einem Trauergesicht umherliefen,
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