0493 - Janes Umkehr
Träume gehabt hatte. Ein schlimmes Alpdrücken mit seelischen Schmerzen, die zu Depressionen führten. Sie hatte versucht, dagegen anzukämpfen, aber die andere Macht war stärker.
Allmählich hatte sich ein Name herauskristallisiert.
Abandur!
Er war derjenige, der sie leitete, der sie lenkte, der seinen Einfluß auf sie ausübte.
Jane hatte ihn nie gesehen, sie ahnte nicht einmal, wie er aussah, und doch glaubte sie, ihn gut genug zu kennen, um alles andere aufzugeben. Lady Sarah, ihre Freunde John Sinclair, Suko, die Conollys, auch Yakup, den Türken, der sich einmal Hoffnungen gemacht hatte, sie zu heiraten. Das alles war vergessen und ließ sich auch nicht mehr zurückholen.
Sie fuhr wieder an.
Die Sonne war tiefer gesunken. Sie kroch bereits dem Horizont entgegen. Durch die offene Seitenscheibe wehte der Wind. Jane hörte die Vögel zwitschern, sie nahm den frühsommerlichen Geruch wahr, der in den Wagen wehte, aber sie kümmerte sich um all diese Dinge nicht.
Das andere Ziel war wichtiger!
Sie erreichte eine Gegend, wo es noch Bauernhöfe gab und Schafe auf einer großen Weide standen.
Von der Straße her führte ein schmaler Pfad in die Landschaft hinein und endete vor einer Scheune.
Zielsicher lenkte Jane Collins den Wagen in den schmalen Pfad. Der Untergrund war nicht mehr so glatt. Traktorspuren hatten ihn gekennzeichnet, durch die ihr Kleinwagen rollte. Bisher hatte man sie noch nicht gefunden, obwohl John Sinclair sicherlich eine Großfahndung eingeleitet hatte. Doch die würde nichts mehr bringen.
Die Scheune hatte ein zweiflügeliges Tor. Die rechte Hälfte stand offen. Als hätte sie den Bau schon immer als Garage benutzt, so lenkte Jane den Wagen hinein, fuhr bis dicht an eine breite Krippe heran und stoppte.
Der Motor verstummte, Jane stieg aus, drückte die Tür zu und wartete ab.
Sie hatte die Scheune noch nie zuvor in ihrem Leben gesehen. Nun empfand sie dieses alte Gebäude als eine Art von Heimat, denn der Befehl war klar und deutlich erfolgt.
Warten!
Warten auf sie oder ihn. Alles andere interessierte nicht. Sie sollte und würde sich um nichts kümmern, und suchte sich ihr Versteck unterhalb der Tenne.
Die Zeit verstrich.
Noch stand die Sonne am Himmel, doch die Schatten wurden bereits länger. Hin und wieder hörte sie das Geräusch eines vorbeifahrenden Wagens. Manchmal war es ein Traktor, dann wieder ein Pkw. Auch Stimmen drangen in ihr Versteck.
In der Nähe spielten Kinder, die sich jedoch nicht in der Scheune verkrochen. Einmal liefen einige Mäuse dicht vor ihren Schuhspitzen her. Jane zuckte nicht einmal zurück.
Sie hatte sich auf einen Holzklotz gesetzt, starrte ins Leere und wartete. Ihr schlichtes Leinenkleid war am Saum etwas verschmutzt, das Haar stand leicht wirr vom Kopf. Auf dem Gesicht lagen dünne Schweißperlen.
Furcht verspürte sie nicht. Eher eine gewisse Neugier vor den kommenden Ereignissen. Man hatte ihr gesagt, daß sie wieder aufgenommen werden sollte. Der alte Kreis, den sie verlassen hatte, war noch immer vorhanden.
Erwartung und Neugier paarten sich. Bisher hatte sie nur Edwina gesehen, doch sie wußte, daß sie nicht allein war. Andere standen hinter ihr, eine geheimnisvolle Schutzmacht, die von Abandur geleitet wurde.
Plötzlich stand sie auf. Ihr feines Gehör hatte Laute vernommen, die nicht in die Umgebung paßten.
Schritte näherten sich. Sehr langsam, dennoch zielstrebig. Jane Collins wußte, daß es eine ihrer neuen Freundinnen war, die kam, um sie abzuholen.
Die Detektivin stand im Dunkeln. Sie selbst schaute gegen die offene Tür, und zwar ins Helle.
Dort erschien die Gestalt. Sie blieb für einen Moment auf der Schwelle stehen. Der Wind schien sie in die Scheune hineingetragen zu haben, denn er spielte mit ihrem weißgrauen Haar und ließ die Strähnen zittern. Die dunkle Kleidung stach ein wenig ab. Zur einen Hälfte lag das Gesicht im Schatten.
»Komm her, Jane, wir haben auf dich gewartet.«
Kaum hatte die Besucherin den Satz ausgesprochen, als sich die ehemalige Hexe in Bewegung setzte und auf die Tür zuschritt. Sie ging sehr langsam, als würde sie es gar nicht wollen. Dies wiederum gefiel der Hexe nicht. Sie streckte den rechten Arm aus und krümmte den mageren Zeigefinger.
»Ja, ich bin schon da…«
Jane starrte der Hexe ins Gesicht, das sie jetzt besser erkennen konnte. Es war alt und häßlich, knochig, hager, mit einer dünnen Haut versehen, mehr Monster als Mensch.
Vor ihr blieb Jane stehen. Die Hexe streckte
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